Kommunalwahlen in der Türkei - Denkzettel für Erdogans AKP?
Wien/Istanbul (APA) - Die Verluste für die Partei des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan in den Großstädten bei der Kommunalw...
Wien/Istanbul (APA) - Die Verluste für die Partei des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan in den Großstädten bei der Kommunalwahl sind nach Ansicht des Politikwissenschafters und Türkei-Experten Ilker Atac ein „klarer Denkzettel“ für den islamisch-konservativen Politiker. Das „Krisenmanagement“ der Regierungspartei der vergangenen Jahre sei „nicht erfolgreich“ gewesen, sagte Atac am Montag zur APA.
Dass Erdogans AK-Partei im Bündnis mit der ultrarechten MHP vor allem in den Großstädten Ankara, Istanbul oder Antalya Stimmen verloren hat, ist laut Atac ein „nicht zu unterschätzendes“ Zeichen. Die Basis der Partei sei zunächst die ländliche Bevölkerung gewesen, ab 1994 etablierte sich die AKP aber auch als städtische Partei - mit dem Ergebnis der Wahl vom Montag stellt sich die Frage, ob die Partei diese Basis verliert. Auch stelle das Ergebnis den Ruf der AKP, das Ohr immer an den Bedürfnissen der Bevölkerung zu haben, infrage, erklärte Atac.
Aber auch wenn Erdogan sein Ziel, die Macht in den Großstädten zu erhalten, trotz eines sehr intensiv geführten Wahlkampfes nicht erreicht hat, bleibt doch seine AK-Partei weiterhin die stärkste Kraft im Land, erinnerte Gülistan Gürbey, Politikwissenschafterin an der Freien Universität Berlin, im Gespräch mit der APA. Von einem richtigen Denkzettel will Gürbey deshalb nicht sprechen.
Denn die „Lokomotivstädte“ hat Erdogan nur knapp an die oppositionelle Mitte-Links-Partei CHP verloren. In Istanbul herrscht weiterhin ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem AKP- und dem CHP-Kandidaten, bei dem zuletzt Ekrem Imamoglu von der CHP die Nase knapp vorne hatte. Die Resultate der Kommunalwahlen zeigen aus Gürbeys Sicht, dass die AKP „ihren Zenit erreicht“ hat, „mehr Währerstimmen zu erreichen, ist für sie offenbar nicht möglich“.
Atac sieht in dem Wahlergebnis vor allem „symbolische Kraft“. Echte „Risse im System Erdogan“ wollen beide Experten nicht erkennen. Vor allem, weil die nächsten regulären Parlaments- und Präsidentenwahlen erst 2023 geplant sind, kann Erdogan nun die kommenden Jahre bequem weiterregieren. „Wenn er konsequent bleibt, wird er seinen Diskurs fortsetzen“, meinte Atac auf die Frage, ob Erdogan seinen teils autoritären Stil und seine aggressive Rhetorik gegenüber den politischen Gegnern fortsetzen werde. Der Wissenschafter, der früher am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien lehrte und derzeit an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden tätig ist, hält es aber auch für möglich, dass der türkische Präsident in Zukunft „versöhnlichere“ Töne anschlagen wird.
Zwar haben sowohl AKP als auch CHP angekündigt, Beschwerde gegen Wahlergebnisse in einigen Städten einlegen zu wollen. Vor allem mit Blick auf die „sehr beschwichtigende, relativierende“ Rede des türkischen Staatspräsidenten am Sonntagabend ist laut Gürbey aber nicht damit zu rechnen, dass Erdogan wirklich auf eine Neuauszählung der Stimmen oder gar eine Wahlwiederholung pochen werde - außer, es würden noch größere Unregelmäßigkeiten bekannt. Derzeit ist es nach Ansicht der beiden Experten zu früh, um ein Urteil über mögliche Unregelmäßigkeiten abzugeben.
Endgültige Ergebnisse der Kommunalwahl, bei der rund 57 Millionen Türken aufgerufen waren, in 81 Provinzen Bürgermeister, Gemeinderäte und andere Kommunalpolitiker zu wählen, könnte es möglicherweise erst in zehn Tagen geben. Noch drei Tage haben die Parteien Zeit, Beschwerde gegen die Ergebnisse einzulegen, über die in der Folge der Wahlrat entscheidet.