100 blutige Tage in Ruanda: 25 Jahre nach dem Völkermord
Kigali (APA/sda) - Vor 25 Jahren begann im ostafrikanischen Ruanda ein Völkermord: Hutu-Milizen wie auch Zivilisten töteten in 100 Tagen min...
Kigali (APA/sda) - Vor 25 Jahren begann im ostafrikanischen Ruanda ein Völkermord: Hutu-Milizen wie auch Zivilisten töteten in 100 Tagen mindestens 800.000 Menschen - insbesondere Angehörige der Tutsi sowie gemäßigte Hutus. Der Abschuss des Flugzeugs mit dem ruandischen Präsidenten Juvenal Habyarimana, einem Hutu, an Bord, war der Startschuss zum Genozid. Er kostete bis zu einer Million Menschen das Leben.
Die genaue Zahl ist nicht belegt. Aber selbst die vorsichtigsten Schätzungen gehen von mindestens 500.000 Todesopfern aus. In annähernd 100 Tagen metzelten Angehörige der Hutu-Mehrheit etwa drei Viertel der in Ruanda lebenden Tutsi-Minderheit nieder. Unter den Opfern waren aber auch moderate Hutus, die sich am Völkermord nicht beteiligen wollten oder sogar aktiv dagegen auftraten.
Den Tutsi gab man nämlich die Schuld am Tod des ruandischen Präsidenten. Angefeuert wurden die Täter auch von Radiojournalisten. Sie bezeichneten die Tutsis unter anderem als Kakerlaken. Das Massaker war jedoch von langer Hand vorbereitet.
Mit im Flugzeug an jenem 6. April 1994 war auch der burundische Präsident Cyprien Ntaryamira. Die Weltgemeinschaft schritt zunächst nicht ein. Im Gegenteil: Die UNO-Truppen im Land wurden nach der Ermordung belgischer Blauhelme stark verringert und französischen Truppen wurde zu große Nähe zu den Tätern vorgeworfen.
Das Morden zu stoppen gelang primär der von Tutsis im Exil in Uganda gegründeten Patriotischen Front Ruandas (FPR). Diese wurde vom heutigen Präsidenten Paul Kagame geführt. Im Sommer 1994 ergriff die FPR die Macht. Der 1957 geborene Kagame hatte Ruanda als Kind mit seiner Familie verlassen. 1959 flohen viele Tutsis, die einst die Oberschicht in Ruanda gebildet hatte, ins Ausland. Sie wurden bei einem Aufstand der Hutu-Mehrheit entmachtet. Seit 1965 war Ruanda praktisch ein Einparteienstaat der Hutus.
Direkt nach den Morden wurde Kagame am 19. Juli 1994 Vizepräsident Ruandas. Seit 2000 herrscht er als Präsident autoritär über den ostafrikanischen Staat. Menschenrechtler werfen der FPR vor, Tausende Zivilisten getötet zu haben, als sie im Sommer 1994 an die Macht kam. Zwei Millionen Ruanderinnen und Ruander (Ruandesen), mehrheitlich Hutus, flohen während und nach dem Genozid ins Ausland - unter anderem in den Kongo und nach Tansania.
Präsident Kagame schaffte die ethnischen Kategorien Hutu, Tutsi und Twa (Jäger und Sammler) ab. Alle haben sich als Ruander (Ruandesen) zu bezeichnen. Kritiker sagen, dass jedoch bis heute jeder wisse, wer zu welchem Stamm gehört. Wenige Monate nach dem Massenmord in Ruanda beschloss der UNO-Sicherheitsrat im November 1994 die Einrichtung des Internationalen Tribunals für Ruanda (ICTR). Anfang 1995 nahm es seine Arbeit in Arusha, einer Stadt im Norden Tansanias, auf.
Das Gericht wurde Ende 2015 nach 21 Jahren aufgelöst. Das ICTR und das Jugoslawien-Tribunal (ICTY), das seit 1993 existierte, waren seit den Nürnberger und Tokioter Prozesse die ersten internationalen Gerichte zur Verfolgung von Kriegsverbrechern.
Das ICTR hatte 93 Personen angeklagt. Das Ruanda-Tribunal war 1998 das erste internationale Strafgericht, das einen Angeklagten wegen Völkermord verurteilte. Ein ruandischer Bürgermeister wurde wegen Anstachelung zu systematischer Vergewaltigung von Tutsi-Frauen des Völkermordes für schuldig gesprochen.
Insgesamt kam es zu 61 Schuldsprüchen. Unter den Verurteilten waren Militärchefs, Lokalpolitiker, Verwaltungschefs und Journalisten, die zum Beispiel übers Radio zum Morden angestiftet hatten. In den Dörfern wurde zudem versucht, in traditionellen Gerichten, sogenannten Gacacas, Recht zu sprechen. Diese Gerichte hätten jedoch nicht wirklich zur Versöhnung der Volksgruppen beigetragen, so die Kritik von Menschenrechtsorganisationen.
1999 ernannte der UNO-Sicherheitsrat die Schweizer Juristin und Diplomatin Carla Del Ponte zur Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs für die Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien und für den Völkermord in Ruanda. Zwischen der ruandischen Regierung und Carla Del Ponte kam es jedoch wiederholt zu Auseinandersetzungen, als diese gegen Angehörige der FPR - der Partei Kagames - ermitteln wollte.
Nicht nur die ruandische Regierung wehrte sich gegen die Vorwürfe Del Pontes, im UNO-Sicherheitsrat machten sich auch die USA und Großbritannien stark gegen die Tessinerin. Im August 2003 wurde Del Ponte durch den gambischen Richter Hassan Bubacar Jallow ersetzt.
Auch in anderen Staaten kam es zu Ermittlungen. Massive Vorwürfe gegen die FPR wurden von einem französischen Juristenteam unter Leitung von Richter Jean-Louis Bruguière erhoben: Sie beschuldigten den heutigen ruandischen Präsidenten und früheren Guerillaführer Kagame, 1994 den Befehl zum Abschuss des Flugzeugs des damaligen Präsidenten Juvénal Habyarimana gegeben zu haben. Zudem wurden sieben Vertraute des Präsidenten Kagame angeklagt. Die Ermittlungen in Frankreich waren 1998 aufgenommen worden, da bei dem Angriff auch der französische Pilot der Maschine ums Leben kam.
Eine ruandische Kommission kam 2009 zum Schluss, dass Hutu-Extremisten für den Anschlag auf Habyarimana verantwortlich waren. Die Regierung in Kigali wirft Frankreich ihrerseits vor, ruandische Armeeeinheiten ausgebildet zu haben, die sich später am Völkermord beteiligten. Ende 2018 stellte Frankreich die Ermittlungen ein, da die Beweise unzureichend seien.
Im März 2017 hatte sich Papst Franziskus für die Rolle der katholischen Kirche beim Völkermord in Ruanda entschuldigt. Bei einem Besuch des ruandischen Präsidenten Kagame in Rom bat der Papst um Gottes Vergebung für die „Sünden und Fehler der Kirche“. Diese hätten „das Gesicht der Kirche entstellt“. Nach dem Genozid flossen Milliarden nach Ruanda. Von den heute 12 Millionen Einwohnern leben knapp 40 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Rund 60 Prozent der Bevölkerung sind 24 Jahre alt und jünger.