Schicksalswahl für israelischen Ministerpräsidenten Netanyahu
Jerusalem (APA) - In Israel wird kommenden Dienstag ein neues Parlament gewählt. Dabei geht es nicht nur um die 120 Sitze in der Knesset, so...
Jerusalem (APA) - In Israel wird kommenden Dienstag ein neues Parlament gewählt. Dabei geht es nicht nur um die 120 Sitze in der Knesset, sondern auch um das politische Schicksal von Langzeit-Ministerpräsident Benjamin Netanyahu (69). Er will sich mit einer weiteren Amtszeit für ein Korruptionsverfahren rüsten, das ihn ins Gefängnis bringen könnten. Kritiker sehen aus diesem Grund die Demokratie in Israel in Gefahr.
Netanyahu bemüht sich mit seinem konservativen Likud-Block bereits um seine fünfte Amtszeit als Ministerpräsident. Noch vor wenigen Monaten schien er den Wahlsieg in der Tasche zu haben, insbesondere wegen seiner Erfolge in der Außen- und Sicherheitspolitik. So gelang es Netanyahu, die USA zum Ausstieg aus dem Iran-Atomabkommen zu bewegen. US-Präsident Donald Trump erkannte nicht nur Jerusalem als israelische Hauptstadt an, sondern jüngst sogar die israelische Kontrolle der syrischen Golan-Höhen.
Zur Hypothek für den Regierungschef hat sich jedoch die Lage im Gazastreifen entwickelt. Nachdem seine Regierungskoalition im November wegen des Streits über eine abgebrochene Militäraktion in dem Palästinensergebiet zerfallen ist, musste Netanyahu vorgezogenen Parlamentswahlen zustimmen. Als in der Vorwoche eine Rakete aus dem Gazastreifen einen nördlichen Vorort von Tel Aviv erreichte, fühlten sich die Kritiker Netanyahus bestätigt.
Während im rechten Lager neue radikale Kräfte wie Zehut (Identität) von Ex-Knesset-Vize Moshe Feiglin dem Regierungschef zusetzen, hat sich in der Mitte eine Oppositionsallianz gegen den Regierungschef formiert. Unter der Führung des angesehenen ehemaligen Generalstabschefs Benny Gantz (59) haben sich drei Parteien zum Bündnis „Blau-Weiß“ zusammengeschlossen. In den Umfragen liefert sich das Bündnis ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Netanyahus Likud. Am Wochenende sah eine Erhebung des Fernsehsenders Channel 12 das Oppositionsbündnis mit 32 zu 28 Mandaten vorne.
Entscheidend für die Regierungsbildung wird aber das Abschneiden der kleineren Parteien sein. Dabei zeichnet sich eine weitere Zersplitterung der Knesset ab, könnten doch 14 Listen den Sprung über die Wahlhürde (3,25 Prozent) schaffen. Weil das rechte Lager in den Umfragen seit Wochen einen deutlichen Vorsprung aufweist, könnte Netanyahu auch bei einer Niederlage des Likud das bessere Ende für sich haben. Beobachter weisen aber darauf hin, dass mehrere potenzielle Netanyahu-Verbündete wie etwa die Yisrael Beiteinu von Ex-Außenminister Avigdor Lieberman nur knapp über der Wahlhürde liegen. Während im rechten Lager bis zu fünf Parteien den Parlamentseinzug verpassen könnten, sind es im linken Lager nur zwei.
Netanyahu droht wegen zahlreicher Korruptionsvorwürfe eine Anklage. Ende Februar bestätigte Generalstaatsanwalt Avishai Mandelblit, dass er Netanyahu wegen Bestechlichkeit, Betrugs und Vertrauensmissbrauchs anklagen will. So soll Netanyahu etwa einem Zeitungsverleger angeboten haben, einen Konkurrenten zu schwächen, wenn er im Gegenzug positiv über ihn berichtet. Jüngst ist er auch wegen eines U-Boot-Deals mit dem deutschen Unternehmen ThyssenKrupp ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Er soll auf den Deal gedrängt haben, um die Aktienkurse einer Firma in die Höhe zu treiben, an der er selbst beteiligt war. Auch könnte er sich des Landesverrats schuldig gemacht haben, weil er einem U-Boot-Verkauf Deutschlands an Ägypten zugestimmt haben soll, ohne das Verteidigungsministerium zu informieren. Netanyahu ging in der Vorwoche eigens ins Fernsehen, um die Vorwürfe in Bausch und Bogen zurückzuweisen.
Beobachter erwarten, dass Netanyahu sich nach einem Wahlsieg mit Gesetzesänderungen Immunität in den Korruptionsverfahren verschaffen will. Dass seine potenziellen Regierungspartner dabei mitmachen und ihm auch nach der Anklageerhebung die Stange halten, gilt aber als fraglich. „Sein fünfter Wahlsieg könnte kurzlebig sein“, schrieb der Netanyahu-Kenner und „Haaretz“-Kommentator Anshel Pfeffer auf Twitter.
Die Korruptionsvorwürfe gegen Netanyahu gerieten in der Endphase des Wahlkampfs in den Hintergrund, weil sich eine regelrechte Schlammschlacht zwischen dem Premier und seinem Herausforderer entwickelte. So soll Gantz gegenüber Vertrauten gesagt haben, dass Netanyahu ihn töten würde, wenn er es könnte. Netanyahu porträtierte seinen Kontrahenten als psychisch instabil und ungeeignet für das Amt des Ministerpräsidenten. In einem Likud-Werbespot wurde Gantz unvorteilhaft mit weit offenen Augen, unterlegt mit Musik aus einem Horrorfilm und dem sarkastischen Kommentar „völlig stabil“ gezeigt. Gantz schlug zurück, indem er Berichte über hunderte Fake-Profile in sozialen Medien anprangerte, die Falschmeldungen über Netanyahus Gegner verbreiteten. Es handle sich um „Info-Terrorismus“, mit dem der Premier „die Wahlen stehlen will“.
Dem Oppositionsbündnis machte im Wahlkampf vor allem die Rivalität zwischen Gantz und Ex-Finanzminister Yair Lapid zu schaffen, der eine Ämterteilung zur Bedingung für seinen Eintritt in die Allianz gemacht hatte. Beobachter sehen in der Doppelspitze die große Schwäche des Anti-Netanyahu-Bündnisses, weil sie Instabilität signalisiere.
Insgesamt 42 Listen werben um die Stimmen der 6,3 Millionen Wahlberechtigten. Die Wahllokale sind von 7 bis 22 Uhr Ortszeit (6 bis 21 Uhr MESZ) geöffnet, wobei die Wähler ihre Stimme in jenem Ort abgeben müssen, in dem sie ins Wählerverzeichnis eingetragen sind. Wer mehr als 20 Kilometer von dort entfernt wohnt, darf kostenlos ein öffentliches Verkehrsmittel für den Weg zum Wahllokal benutzen.
Gedruckt werden über 300 Millionen Stimmzettel, weil die Stimmabgabe nicht durch Ankreuzen erfolgt, sondern durch die Abgabe des jeweiligen Parteistimmzettels. Eine israelische Besonderheit ist auch, dass die einzelnen Listen eine Kombination aus ein bis drei hebräischen Buchstaben als Kurzbezeichnung haben, wobei die begehrteren Kombinationen schon von alteingesessenen Parteien besetzt sind. Der aus der Ukraine stammende Youtube-Star Semion Grafman machte sich über diese Tradition lustig, indem er bei der Wahlkommission für seine Partei Betah eine Kombination beantragte, die ausgesprochen wie das englische Wort „Fuck“ klingt. Grafman fand mit seinem Wunsch kein Gehör, und auch in die Knesset dürfte er es wohl nicht schaffen.
(Grafik Nr. 0411-19, Format 88 x 178 mm)