Brexit: Vom Chaos-Austritt bis zum Verbleib in der EU

London (APA/AFP) - Weiter keine Klarheit beim Brexit. Das britische Unterhaus hat vergangene Woche zum dritten Mal den mit der EU ausgehande...

London (APA/AFP) - Weiter keine Klarheit beim Brexit. Das britische Unterhaus hat vergangene Woche zum dritten Mal den mit der EU ausgehandelten Austrittsvertrag abgelehnt. Am Montagabend fanden auch Alternativvorschläge keine Mehrheit. Nun drängt die Zeit.Die EU verlangt bis zum 12. April eine Entscheidung, ob Großbritannien an der Europawahl Ende Mai teilnimmt oder nicht.

Je nach Beschluss ist ein sofortiger ungeordneter Austritt ebenso möglich wie ein längerer oder gar dauerhafter Verbleib in der EU:

UNGEORDNETER BREXIT

Nach aktuellem Stand ist Großbritannien ohne andere Entscheidung ab dem 13. April kein EU-Mitglied mehr. Das Vereinigte Königreich wäre dann schlagartig nicht mehr Teil des europäischen Binnenmarktes und der Zollunion, alle Beziehungen aus 46 Jahren EU-Mitgliedschaft würden gekappt. Dies hätte weitreichende Folgen für den Reiseverkehr und die Wirtschaftsbeziehungen. Die EU hat deshalb Notfallpläne vorbereitet und sieht sich laut EU-Kommission auf dieses Szenario „vollständig vorbereitet“.

NOCH EIN VOTUM ÜBER DEN AUSTRITTSVERTRAG

Trotz drei Niederlagen in Folge schließt Premierministerin Theresa May nicht aus, den Austrittsvertrag ein viertes Mal im Unterhaus zur Abstimmung zu stellen. Bei einer Annahme würde die EU-Mitgliedschaft am 12. April enden, Großbritannien bekäme aber eine Übergangsphase bis mindestens Ende 2020. In ihr wäre das Land zwar kein EU-Mitglied mehr, bliebe aber vorerst noch im Binnenmarkt und in der Zollunion. Während der Übergangsphase würde ein Abkommen über die künftigen Beziehungen mit der EU ausgehandelt.

RÜCKNAHME DES AUSTRITTSANTRAGS

Für London besteht bis zum Austrittsdatum jederzeit die Möglichkeit, den Brexit-Antrag ohne Zustimmung der EU einseitig zurückzunehmen. Dies bestätigte der Europäische Gerichtshof im Dezember. May warnt vor „katastrophalen“ Folgen für die britische Demokratie, wenn das Brexit-Referendum von 2016 missachtet würde. Eine im Februar gestartete Online-Petition in Großbritannien zur Brexit-Rücknahme verzeichnete bis Dienstag sechs Millionen Unterstützer.

ERNEUTE BREXIT-VERSCHIEBUNG

Für alle anderen Varianten wäre eine erneute Verschiebung des Brexit-Datums nötig. Über sie würde ein EU-Sondergipfel am 10. April entscheiden. Wie lange diese sein würde, ist offen. Die EU-Kommission hat bis „mindestens“ Ende 2019 empfohlen, wenn der Brexit nach der Europawahl liegt. Aus den Mitgliedstaaten kommen angesichts der unklaren Lage auch Forderungen nach einer Verschiebung um knapp zwei Jahre bis Ende 2020. Dann endet der aktuelle mehrjährige Finanzrahmen der EU. Was dazu kommt, ist, dass die Briten bei einer längeren Verschiebung an den EU-Wahlen vom 26. Mai teilnehmen müssten. Das haben die Briten immer abgelehnt. Die EU, die zu Beginn immer betont hatte, dass die Briten jederzeit umdenken und in der EU bleiben könnten, ist jetzt ebenfalls in diesem Punkt skeptisch.

ZWEITES REFERENDUM

Mit einer deutlichen Verschiebung könnte neben Neuwahlen auch ein zweites Referendum über den EU-Austritt an Unterstützern gewinnen. Die oppositionelle Labour-Partei sieht eine erneute Volksabstimmung als möglichen Ausweg. Für die Vorbereitung eines zweiten Referendums wären Experten zufolge fünf bis sechs Monate nötig.

OPTIONEN FÜR DAS KÜNFTIGE VERHÄLTNIS

Über das künftige Verhältnis will die EU erst nach einem Brexit verhandeln und nicht davor. Am Montag hat das Unterhaus erneut über mehrere Optionen abgestimmt. Mit einem Unterschied von nur drei Stimmen scheiterte der Plan für eine dauerhafte Zollunion mit der EU. Brexit-Hardliner lehnen sie aber kategorisch ab, weil Großbritannien dann nach dem EU-Austritt keine eigenen Handelsabkommen abschließen könnte.

Mit 21 Stimmen gescheitert ist die „Norwegen plus“-Option. Dabei wäre Großbritannien wie Norwegen, Island und Liechtenstein Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) und bliebe im EU-Binnenmarkt. Ausgenommen wären die Agrar- und Fischereipolitik. Es müsste aber die Niederlassungs- und Arbeitnehmerfreizügigkeit für EU-Bürger anerkennen, deren Ende eines der Hauptversprechen der Brexit-Befürworter ist. Das „Plus“ in der Option steht für eine zusätzliche Zollunion mit der EU.