Innenpolitik

Identitären-Thema belastet Koalition: Riss und rote Linie

Fingerzeig. Kurz zeigt dem Vizekanzler die Grenze, deren Überschreitung er nicht akzeptieren würde.
© APA

Kurz und Strache haben ihre erste Belastungsprobe. Die Nähe der rechtsextremen Identitären zur FPÖ sorgt für eine tiefe Verstimmung in der Bundesregierung.

Von Michael Sprenger

Wien –Eineinhalb Jahre Harmonie. Eineinhalb Jahre lang wurden Zwistigkeiten intern bereinigt. Eineinhalb Jahre funktionierte die Message-Control.

Nun sind Dissonanzen hörbar. Es ist vorbei mit dem Gleichklang. Zwischen ÖVP und FPÖ hängt der Haussegen schief. Und es bewahrheitet sich, was sich seit eineinhalb Jahren immer mehr verfestigt hat. Diese Koalition braucht sich nicht vor der Opposition zu fürchten, wenn Gefahr droht, dann von innen. Intern kracht es seit Tagen.

„ Die Arbeit der linken Mainstream­medien bleibt nicht folgenlos. Der Herr Kurz wird nervös.“ Andreas Mölzer (FPÖ-Ideologe)
© APA/HERBERT PFARRHOFER

Die Ursache der „veritablen Krise“ (Fritz Plasser) lässt sich lokalisieren: 18.000 Kilometer entfernt vom Regierungsviertel. Dieses Phänomen ist keinesfalls neu. Wir erlebten es zuletzt bei der MeToo-Debatte. Politische Wellen kennen keine Entfernungen, wenn der Aufprall mächtig ist. Die Wellen, die durch den Terroranschlag im neuseeländischen Christchurch ausgelöst worden sind, erreichten vor Tagen das Regierungsviertel in Wien.

Eine bekannt gewordene Spende des Attentäters an die rechtsextremen Identitären in Österreich sorgt für einen Riss in der Koalition.

Der gemeinsame Auftritt von Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache nach dem gestrigen Ministerrat machte die Tiefe des Risses sichtbar. Von „roten Linien“ war die Rede. Und Kurz machte klar, was er darunter versteht. „Rechtsextremismus darf keinen Platz in einer politischen Partei haben, egal in welcher Partei.“ Identitären-Sprecher Martin Sellner, er bekam die Spende des Attentäters, verbreite eine „Ideologie, die sehr bedenklich ist“ – und die Identitären seien in der Vergangenheit auch immer wieder damit aufgefallen, dass sie sich gewaltbereit gezeigt hätten. „Insofern erwarte ich mir, dass es keine Verflechtungen mit politischen Parteien, auch nicht dem Koalitionspartner, gibt“, sagte Kurz.

„Der Kanzler sollte sich nicht von der linken Meinungsmafia instrumentalisieren lassen.“ Manfred Haimbuchner (FPÖ-Chef Oberösterreich)
© APA

Strache wollte beruhigen, pochte auf „Versachlichung statt Übertreibung“. Er erinnerte daran, dass er schon ein „gewisses Alter“ erreicht habe, um nicht in Hysterie zu verfallen. Kurz fühlte sich angesprochen – und reagierte: „Ich glaube, wie man die Identitären sieht, ist keine Altersfrage, die kann man widerlich finden, egal wie alt man ist.“ Strache merkte bei sich, dass nun eine Korrektur notwendig sei. Er habe doch nicht Kurz gemeint, sondern sein jüngeres Ich.

Und was meinte er mit der Versachlichung? Er erinnerte einmal mehr an den Beschluss des Parteivorstands, „wo wir klar sagen, wer bei den Identitären aktiv ist, der kann bei uns keine Funktion und kein Mandat innehaben“. Seit es diesen Beschluss gebe, habe es auch ein paar klärende Gespräche gegeben. „Da hat sich der eine oder andere Bezirksrat klar für die FPÖ entschieden“, sagte Strache.

Und wieder ergänzte ihn der Kanzler: Dieser Beschluss müsse aus seiner Sicht genauso für „politische Mitarbeiter in den Kabinetten“ der blauen Ministerien Gültigkeit haben, forderte Kurz. „Das werden wir sehr genau beobachten.“ Zuletzt wurden persönliche Überschneidungen bis hinein in die von FPÖ-Funktionären beherrschten rechten Burschenschaften und eben einzelne FPÖ-dominierte Kabinette bekannt.

Strache selbst stellte – vor allem als Oppositionspolitiker – wiederholt Beiträge der Identitären auf seine Facebook-Seite. Er verteidigte sie gegen „linken Gesinnungsterror“, lobte sie als „Bürgerbewegung“.

Auch FPÖ-nahe Medien zeichnen sich durch Unterstützung und Zuspruch für die Identitären aus. So verteidigten sowohl das Online-Medium unzensuriert.at, dessen ehemaliger Chefredakteur Alexander Höferl nunmehr im Kabinett von Innenminister Herbert Kickl sitzt, als auch das rechtsextreme Magazin Info-Direkt, an dem oberösterreichische FPÖ-Mitarbeiter beteiligt sind, Identitären-Chef Sellner.

FPÖ-Klubobmann Walter Rosenkranz wollte bei alledem kein Problem sehen: Er begründete das mit „privatrechtlichen Aktivitäten“ und „journalistischer Freiheit“, sagte er im ZiB2-Interview. Vermietung von Räumlichkeiten durch blaue Funktionäre an die Identitären rechtfertigte Rosenkranz mit dem „österreichischen Mietrecht“.

Weil die FPÖ-Spitze zuletzt nicht diese Reaktion zeigte, die Kurz erwartet hat, wurde der Kanzler patzig. „Ich dulde keinen schwammigen Umgang mit dieser rechtsextremen Bewegung.“

Für den FPÖ-Ideologen und Publizisten Andreas Mölzer wird der Kanzler zusehends nervös. „Die Arbeit der linken Mainstreammedien bleibt nicht folgenlos“, sagt er der Tiroler Tageszeitung.

In dasselbe Horn stößt der oberösterreichische FPÖ-Obmann Landeshauptmann-Stellvertreter Manfred Haimbuchner: „Der Kanzler soll sich nicht von der linken Meinungsmafia instrumentaliseren lassen.“

Walter Rosenkranz geht noch einen Schritt weiter, wenn er erklärt: „Die Kampagne, die SPÖ und andere linke Zwerge mit ihren Verschwörungstheorien und Alternativszenarien aufgrund von bewussten Verdrehungen gegen Regierung und vor allem gegen Innenminister Herbert Kickl reiten, ist an Widerlichkeit kaum zu überbieten.“

Kickl war zuletzt ins Visier der Opposition geraten. Doch innerhalb der Koalition gilt er als absolut notwendig. Oder, um es mit den Worten Mölzers zu sagen: „Bei einer Abberufung Kickls als Innenminister gibt es diese Koalition nicht mehr.“

Wie jetzt bekannt geworden ist, spendete der Attentäter von Christchurch nicht nur an die Identitären in Österreich, sondern er soll auch vier Überweisungen an die rechtsextreme Organisation „Génération Identitaire“ in Frankreich getätigt haben.

Er verwendete in seinem Pamphlet auch den zentralen Begriff der Identitären („Der große Austausch“).

Bevor der gebürtige Australier und mutmaßliche Terrorist in zwei Moscheen in der neuseeländischen Stadt Christchurch am 15. März 50 Muslime ermordete, bereiste er Anfang Dezember aus Ungarn kommend Österreich. Und er soll sich danach rund eine Woche lang im Baltikum aufgehalten haben.

5 Fragen an Univ.-Prof. Fritz Plasser

„Eine erste veritable Krise"

In der Koalition gärt es. Die Nähe der FPÖ zu den rechtsextremen Identitären wird zur Belastung.

1 Bislang konnte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) Querelen mit dem Koalitionspartner intern regeln. Jetzt musste er öffentlich eine rote Linie benennen. Erleben wir das Ende der Harmonie zwischen FPÖ und ÖVP? Ich erkenne die erste echte Belastungsprobe; die beiden Koalitionsparteien erleben eine veritable Krise. Kanzler Sebastian Kurz konnte und wollte öffentlich nicht schweigen, seine Besorgnis sollte hörbar sein.

2 Sie sprechen von „veritabler Krise". Kann sich dies bis zu einem Koalitionsbruch auswachsen? ÖVP und FPÖ verfolgen ein 10-Jahres-Projekt. Ich gehe deshalb noch nicht von einer Bestandskrise aus. Aus Sicht der Koalition überwiegen klar die Erfolge. Aber ich sehe FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache in der Bringschuld. Kann er glaubhaft für eine klare Distanz zu den rechtsextremen Identitären sorgen? Der Auftritt von FPÖ-Klubobmann Walter Rosenkranz im ZiB2-Studio konnte nicht zur Beruhigung beitragen.

3 Die Debatte bekommt längst eine internationale Dimension. Ist dies mit ein Grund für den Kanzler, Flagge zu zeigen? Absolut. Kurz ist innerhalb der EU das Gesicht eines neuen Konservativismus. Dieses Gesicht verträgt populistische, mitunter nationale Züge, aber keine rechtsextremen. Deshalb zieht Kurz eine klare Trennlinie.

4 Wir stehen am Beginn der Europawahlen. Droht hier eine weitere Zuspitzung? Europa ist ein Spaltungsthema. ÖVP-Wähler unterscheiden sich in dieser Frage am deutlichsten von FPÖ-Wählern. Trotzdem will ich die EU-Wahl, solange es bloß auf ein Match Vilimsky gegen Karas hinausläuft, nicht als Belastungsprobe sehen.

5 Welche Rolle übernimmt in diesem koalitionären Konflikt Innenminister Herbert Kickl? Er ist das Kraftzentrum der FPÖ. Insofern wäre die Abberufung Kickls der Anfang vom Ende dieser Regierung.

Das Interview führte Michael Sprenger

Verwandte Themen