Israel-Wahl

General gegen Mr. Sicherheit: Israel wählt ein neues Parlament

Auf Benny Gantz ruhen die Hoffnungen der Opposition.Foto: AFP/Guez
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Seit zehn Jahren hält sich Israels umstrittener Regierungschef Benjamin Netanjahu an der Macht. Nun fordert ihn sein ehemaliger Generalstabschef Benny Gantz heraus.

Von Floo Weißmann

Tel Aviv –Wenn die Israelis am Dienstag ein neues Parlament wählen, geht es vor allem um eine Frage: Soll der ebenso brillante wie verhasst­e Benjamin Netanjahu das Land weiterhin führen?

Zehn Jahre schon regiert „König Bibi“, wie ihn der Economist nannte. Mit 69 sprüht er vor Energie und predigt, dass nur er den Staat der Juden vor dem Untergang bewahren kann. Selbst Netanjahus Gegner halten ihn für den begabtesten Politiker seiner Generation, einen begnadeten Wahlkämpfer und ebenso genialen wie skrupellosen Taktiker der Macht. Und er kann auf Erfolge verweisen.

Unter seiner Führung blieb Israel relativ sicher und stabil – und das in einer Region, die in blutigen Umbrüchen steckt. Besucher aus aller Welt werben um Kooperation mit Israels Sicherheits- und High-tech-Industrie. Netanjahu genießt Respekt im Weißen Haus wie im Kreml. Donald Trump beschenkte ihn im Wahlkampf mit der Anerkennung der Go- lan-Höhen als Teil Israels.

Die Kritik an Netanjahu entzündet sich an seiner Politik der Spaltung und seinen Angriffen auf die Grundwert­e der Gesellschaft und des Rechtsstaats. Noch bevor rechte Populisten und Nationalisten in anderen Ländern ans Ruder kamen, lieferte er dafür die Blaupause.

Netanjahu wettert gegen liberale Eliten und kritische Medien, verunglimpft das Korruptionsverfahren gegen ihn als Hexenjagd, schürt Ressentiments gegen Araber und Muslime, führt Wahlkampf (mutmaßlich) mit gefälschten Twitter-Konten und Desinformation. Er fördert Rechtsextreme, damit sie ihm nach der Wahl als Mehrheitsbeschaffer dienen können.

Zehn Jahre schon regiert Benjamin Netanyahu oder „König Bibi“, wie ihn der Economist nannte, in Israel.
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Vor allem aber gibt Netanjahu keine Antwort auf Zukunftsfragen. „Anti-solutionism“ nennen Kritiker seine Politik, die Probleme nur verwaltet, aber nicht versucht, sie zu lösen. Im Kleinkrieg mit den Palästinensern sterben fast jeden Tag junge Menschen. Die sozialen Probleme in Israel vernebelt Netanjahu mit dem Verweis auf die Bedrohung durch den Iran. Er inszeniert sich als Mr. Sicherheit, Kritik gilt als Verrat.

Die Opposition hatte dem bislang wenig entgegenzusetzen. Die Arbeitspartei, die Israel aufgebaut hat, ist mit dem Friedensprozess zerbröselt. Ihr Versuch der Aussöhnung mit den Palästinensern mündete in Gewalt und ist in der israelischen Gesellschaft weitgehend diskreditiert. Die Folge war ein Rechtsruck, der die Ära Netanjahu einleitete, während die Arbeitspartei und die Reste des Friedenslagers wie aus der Zeit gefallen wirken.

„Die Israelis sehen keinen glaubwürdigen Partner für Frieden“, sagt­e der Politologe Reuven Hazan von der Hebräischen Universität Jerusalem der TT. Die als Friedensbringer gescheiterte Arbeitspartei sei nicht in der Lage gewesen, sich als soziale Kraft neu zu erfinden.

Die Israelis sehen sich seit der Gründung ihres Staates von Feinden umgeben. In Kriegen haben sie die Araber auf Distanz gezwungen und ihr Territorium vergrößert. Sicherheit war stets ein bestimmendes Thema. Es ist deshalb kein Zufall, dass Netanjahus aussichtsreichste Herausforderer bei dieser Wahl nicht von links kommen, sondern aus dem Sicherheitsapparat.

Ex-Generalstabschef Benn­y Gantz (59) hat erst im Dezember eine neue Partei gegründet und zwei weitere Ex-Armeechefs als Mitstreiter gefunden. Die Generäle verbündeten sich mit der liberalen Partei von Ex-Finanzminister Jair Lapid (55). „Blau-Weiß“, wie das Bündnis heißt, lag in Umfragen zuletzt knapp vor Netanjahus Likud.

Dabei ist nicht restlos geklärt, wofür das Bündnis eigentlich steht. Gantz, ein studierter Politologe, gibt sich als Saubermann und als Stimme der moderaten Mitte, die Israels Demokratie und sozialen Zusammenhalt in Gefahr sieht. Doch um Inhalte ging es im Wahlkampf nur am Rande, wie der Journalist Anshel Pfeffer von der liberalen Haaretz der TT sagte. Die wichtigst­e Eigenschaft von Gantz scheint zu sein, dass er nicht Netanjahu ist. Er verspricht Sicherheit mit einem freundlicheren Antlitz, ohne sich allzu konkret festzulegen.

Das gilt auch für die Palästinenserfrage. Hazan erwartet, dass Israel im Fall eines Wahlsiegs der Opposition wieder offener wäre für Gespräche. „Aber ohne einen Partner auf der anderen Seite würde das in der Region nichts ändern.“ Die Israelis hätten jedenfalls nicht das Gefühl, dass sie bei dieser Wahl eine Chance auf Frieden verpassen könnten, sagt der Politologe. „Sollte es einen Regierungswechsel geben, dann deshalb, weil die Leute den Likud draußen haben wollen, nicht weil sie Ostjerusalem abgeben wollen.“

Ob es dazu kommt, hängt weniger davon ab, wer am Dienstag die Nase vorne hat. Entscheidend ist vielmehr die Fähigkeit zur Regierungsbildung in Israels zerklüfteter Parteienlandschaft. Blau-Weiß und der Likud selbst dürften jeweils auf ungefähr 30 der 120 Mandate in der Knesset kommen. Mit wem sie koalieren können, hängt davon ab, wie die zahlreichen Kleinparteien abschneiden.

Die meisten Beobachter erwarten, dass das Lager der rechten und religiösen Parteien auch in der nächsten Knesset in Summe etwas größer sein wird als das Mitte-links-Lager. Deshalb gilt es als wahrscheinlichste Variante, dass Netanjahu Regierungschef bleibt, selbst wenn er bei der Wahl nur Zweiter wird.

Zu den vielen Variablen gehört das Wahlverhalten der arabischen Minderheit, die ein Fünftel der Bevölkerung ausmacht. Netanjahu hat das umstrittene Nationalstaatsgesetz durchgedrückt, das jüdischen Israelis einen Vorrang einräumt. Niemand weiß, ob die arabischen Israelis nun resignieren oder die Wahl zu einer Abrechnung nützen – und wer letztlich davon profitiert.

Die meisten arabischen Israelis wollen vor allem gleichberechtigte Bürger sein, sagt Hazan. Ihre Abgeordneten würden aber in der Öffentlichkeit als Stimme der Palästinenser wahrgenommen, die gegen Israel arbeiten. Das dürfte es Gantz erschweren, mit den beiden Parteien der Minderheit zu kooperieren. Auch umgekehrt ist die Zuneigung begrenzt, kommandiert­e Gantz doch den Gaza-Krieg 2014, in dem Hunderte palästinensische Zivilisten starben.

Zu den Variablen gehören auch Netanjahus Probleme mit der Justiz. Seine Gegner argwöhnen, dass er ein Immunitätsgesetz anstrebt, mit dem er sich einen Prozess wegen Bestechlichkeit, Betrug und Untreue vom Hals schaffen kann. Doch werden seine Koalitionspartner dabei mitmachen – und um welchen Preis?

Viel spricht deshalb dafür, dass Israels Kurs auf die Zukunft am Dienstagabend noch nicht geklärt ist. „Was auch immer bei der Wahl passiert, mag nur der Beginn der politischen Auseinandersetzung der kommenden Monate sein“, sagt Pfeffer. Für „König Bibi“, den Meister des Machterhalts, steht die größte Herausforderung seiner Regentschaft erst noch bevor.

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