Literatur

„Das Geburtstagsfest“: Grauenvolle Geister von gestern

In der Gedenkstätte Choeung Ek bei Phnom Penh sind Tausende Totenschädel aufgebahrt – Überreste von Opfern der Roten Khmer.
© AFP

Mit ihrem Romanneuling „Das Geburtstagsfest“ gelingt Judith W. Taschler der schriftstellerische Spagat zwischen spannender Unterhaltung und historischer Wissensvermittlung.

Von Markus Schramek

Innsbruck – Es kommt nicht gar so oft vor, dass man als Leser, nach Erreichen des hinteren Buchdeckels, das Gelesene kapitelweise gleich noch einmal studiert. Fraglos ein Zeichen dafür, dass das Leseerlebnis Spuren hinterlassen hat. Somit darf man die in Innsbruck lebend­e Autorin Judith W. Taschler getrost schon vorab loben: Ihren neuen Roman „Das Geburtstagsfest“ bekommt man so schnell nicht wieder aus dem Kopf. Es ist eine packend­e Story, unmenschlich grausam und doch auf berührende Weise auch schön. Menschen werden in Scharen dahingemetzelt. Den Glauben an die Menschlichkeit vermag all das aber nicht zu zerstören.

Taschler verdiente sich ihre Brötchen früher als Lehrerin. Für ihren Neuling hat sie die Hausaufgaben fein säuberlich erledigt und umfassend recherchiert. Sie war in Kambod­scha unterwegs. Das Land in Südostasien wurde unter der Schreckensherrschaft der Roten Khmer von 1975 bis 1979 ausgeblutet. Diktator Pol Pot wollte das einst blühende Land der Khmer (kambodschanisch für „Volk Kambodscha­s“) mit Methoden des Steinzeitkommunismus „revolutionieren“. Ein Arbeiter- und Bauernstaat, getragen von entrechteten Bürgern, war die Vision des Tyrannen.

Pol Pot befahl seinen Schergen und Soldaten, viele von ihnen noch im Kindesalter, den Völkermord. Fast zwei Millionen Landsleute, ein Viertel der Bevölkerung wurde hingerichtet, willkürlich, ohne jede Gerichtsbarkeit. Kambodschaner mit auch nur Ansätzen von Bildung wurden zu Staatsfeinden erklärt. Sadisten in der schwarzen Uniform der „Roten Khmer“ ließen jede Hemmung fallen. Kleinkinder wurden umgebracht, indem sie gegen Bäume geschmettert wurden.

„Niederzuknien bedeutete sterben zu müssen“, berichtet das Mädchen Tevi, eine Hauptfigur des Romans. An der Seite des Burschen Kim gelangt Tevi 1980 über ein Flüchtlingslager in Thailand nach Oberösterreich. Da ist Tevi zwölf und Kim 14. Auf der Flucht hat er die ausgehungerte Tevi tagelang durch den Dschungel getragen.

Monika, die ihre zehnjährige Tochter Ines alleine großzieht, nimmt die beiden Flüchtlingskinder auf. Schnell leben sich diese in der neuen Heimat im Mühlviertel ein. Ein Fall geglückter Integratio­n – wenn da nicht das Trauma des Erlebten wär­e. Kim und Tevi wurden Augenzeugen von Gräuel­taten der Roten Khmer. Beide sind Voll­waisen.

Aus Kim und Ines, die zusammen aufwachsen, wird als Erwachsene, nach einigen Umwegen, ein Ehepaar mit drei Kindern. Zu Kims 50. Geburtstag steigt ein großes Fest – gegen den Willen des Jubilars. Kims Kinder laden als Überraschungsgast Tevi ein, die inzwischen in den USA lebt. Tevis Erscheinen weckt die Geister der Vergangenheit. Es kommt zu Geständnissen, Abrechnungen und Anschuldigungen. Kim wird vorgeworfen, selbst Kindersoldat der Roten Khmer gewesen zu sein, der „Genosse Schlächter“, der lautlos mit dem Messer mordete.

Taschler spitzt die Konfrontation zu, indem sie geschickt die Erzählperspektive wechselt. Tagebuchartige Einträg­e und Rückblenden in das Kambodscha der 70er-Jahre wechseln mit der Rahmenhandlung, Kims Geburtstagsfest in unseren Tagen.

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An dieser Stelle ein kleiner Warnhinweis. Die Autorin, deren Eltern 1980 tatsächlich eine kambodschanische Flüchtlingsfamilie aufnahmen, schreckt nicht davor zurück, die Grausamkeit der Roten Khmer detailreich zu schildern: Menschen, denen alles Blut abgenommen wird, um es Parteibonzen zu spenden. Massenvergewaltigungen, durchgetrennte Kehlen und immer wieder das „tock, tock“. So klingt es, wenn mit der Rückseite einer Axt ein Schädel eingeschlagen wird.

Definitorisch bemüht könnte man Taschlers neuen Roman eine Familienchronik vor historischem Hintergrund nennen. Das ist kein neues Erzählmuster. Doch das Buch ist weder langatmig noch belehrend, im Gegenteil. Es liest sich dermaßen fesselnd, dass man keine Ruhe hat, bis man durch ist. Auf dem Weg dorthin wartet noch manche Überraschung.

Roman Judith W. Taschler: Das Geburtstagsfest. Droemer 2019, 352 Seiten.

Lesungen. Judith W. Taschler liest am 10. April in Lienz (Stadtbüchere­i) und am 16. April in Innsbruck (Wagner’sche). Beginn ist jeweils um 19.30 Uhr.

Judith W. Taschler, Jg. 1970, stammt aus Oberösterreich und lebt mit ihrer Familie in Innsbruck.
© Maria Noisternig

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