Brexit - Knackpunkt Nordirland
London (APA/AFP) - Wenn die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel am heutigen Donnerstag in Dublin den irischen Regierungschef Leo Varadkar...
London (APA/AFP) - Wenn die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel am heutigen Donnerstag in Dublin den irischen Regierungschef Leo Varadkar trifft, wird es vor allem um den Brexit gehen. Denn nicht zuletzt wegen der Grenzsituation zwischen dem EU-Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland ist der Brexit-Vertrag in London hoch umstritten. Warum das Nordirland-Problem so brisant ist:
NORDIRLAND
Nordirland gehört zum Vereinigten Königreich. In der britischen Provinz auf der irischen Insel leben gut 1,8 Millionen Menschen. Lange Zeit bekämpften sich dort irisch-katholische Nationalisten und protestantische Loyalisten. Seit den 60er Jahren starben dabei 3.500 Menschen. Der Nordirland-Konflikt endete 1998 durch das Karfreitagsabkommen. Es sichert neben der Aufteilung der Macht zwischen Protestanten und Katholiken einen reibungslosen Austausch zwischen dem Norden und dem Süden der Insel zu.
DIE GRENZE ZU IRLAND
Irland und Nordirland haben 500 Kilometer gemeinsame Landgrenze. Während des Nordirland-Konflikts waren weite Teile durch Wachtürme, Stacheldraht und schwer bewaffnete Soldaten gesichert. Heute ist die Grenze kaum sichtbar. 30.000 Menschen pendeln täglich ohne Kontrollen über die Grenze zur Arbeit, Waren und Güter passieren sie zollfrei, und Unternehmen haben grenzüberschreitend Lieferketten aufgebaut.
GEFAHR DES WIEDERAUFFLMENS DES KONFLIKTS
Die EU wie Großbritannien befürchten ein Wiederaufflammen des Konflikts, wenn nach dem Brexit Grenzkontrollen wieder eingeführt würden. Auch wenn die irisch-republikanische Untergrundorganisation IRA ihre Waffen niedergelegt hat, gibt es weiter Splittergruppen, die gewaltbereit sind. Als im Jänner eine Autobombe in der nordirischen Stadt Derry explodierte, machte die Polizei die paramilitärische Gruppe „New IRA“ dafür verantwortlich.
DIE VERHANDLUNGSLÖSUNG
Die EU und London wollen deshalb eine „harte Grenze“ mit Kontrollen verhindern. Nach dem zwischen London und der EU ausgehandelten Austrittsvertrag würde nach dem Brexit in einer Übergangsphase bis maximal Ende 2022 über eine Lösung verhandelt. EU-Verhandlungsführer Michel Barnier hat einige technische Möglichkeiten genannt, um die Kontrollen so „unsichtbar“ wie möglich zu machen. Dazu gehören im Voraus ausgefüllte Online-Zollerklärungen und das Scannen von Barcodes auf Lastwagen und Containern.
DIE NOTLÖSUNG
Ohne Einigung in der Übergangsphase würde dem Brexit-Vertrag zufolge eine Auffanglösung greifen. Der sogenannte Backstop sieht vor, dass das Vereinigte Königreich bis auf weiteres in einer Zollunion mit der EU bleibt. Für Nordirland würden zudem Bestimmungen des EU-Binnenmarktes weiter gelten.
KRITIK DER BREXIT-HARDLINER
Die britischen Brexit-Hardliner stören an der Auffanglösung drei Dinge: Der Backstop hat keine zeitliche Befristung, weshalb Großbritannien noch Jahre an die EU gebunden bliebe. Wegen der Zollunion könnte London zudem keine eigenen Handelsabkommen schließen. Und schließlich wären gewisse Kontrollen im Bereich der Lebensmittelsicherheit oder bei Umweltstandards zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs nötig, weil die britische Provinz de facto im EU-Binnenmarkt bliebe. Im Jänner stimmte das britische Parlament mehrheitlich dafür, die sogenannte Backstop-Regelung in dem Abkommen zu ersetzen. Brüssel lehnt dies jedoch ab.
BREXIT OHNE AUSTRITTSVERTRAG
Im immer wahrscheinlicher werdenden Falle eines Brexit ohne Austrittsvertrag müsste Irland an der EU-Außengrenze zu Nordirland Kontrollen einführen. Im Personenverkehr dürften die Auswirkungen begrenzt bleiben. Denn auch Irland ist nicht Teil des Schengenraums, weshalb von dort Reisende Richtung Kontinent auch jetzt kontrolliert werden. Darüber hinaus hat Dublin zugesichert, das bestehende „einheitliche Reisegebiet“ (Common Travel Area - CTA) mit Nordirland aufrechtzuerhalten.
Das Problem ist die Wirtschaft. Es müssten bei Lieferungen über die Grenze wieder Zölle erhoben und die Einfuhr von Waren müsste kontrolliert werden. Hinzu kommt die Symbolwirkung wiedereingeführter Kontrollen. Denn Grenzposten waren während des Nordirland-Konflikts eines der Hauptziele bewaffneter Nationalisten, die nach einer Vereinigung der irischen Insel streben.