Streit um zweites Brexit-Referendum - Oberhaus diskutiert Aufschub

London (APA) - Nach dem Beschluss des Brexit-Aufschubs durch das Unterhaus ist in Großbritannien die Debatte über ein zweites Referendum ent...

London (APA) - Nach dem Beschluss des Brexit-Aufschubs durch das Unterhaus ist in Großbritannien die Debatte über ein zweites Referendum entbrannt. Nachdem Finanzminister Philip Hammond ein solches Votum ins Spiel gebracht hat, wurde er von Umweltminister Matt Hancock zurechtgewiesen. In der oppositionellen Labour Party brachen ebenfalls Differenzen auf. Das Oberhaus beriet indes über das Aufschub-Gesetz.

Das Unterhaus hatte am späten Mittwochabend mit 313 zu 312 Stimmen für eine Verschiebung des Brexit gestimmt, um einen ungeordneten Brexit zu verhindern. Am Donnerstag nahm die Vorlage die erste Hürde im Oberhaus, das mit 239 zu 118 Stimmen für ein Debattenende votierte. Der endgültige Beschluss könnte noch im Laufe des Tages erfolgen. Ein Sprecher von Premierministerin Theresa May warnte, dass das Gesetz zu einem ungewollten Hard Brexit führen könnte.

Ein Referendum zur Bestätigung der Bedingungen des EU-Austritts sei „ein vollkommen glaubwürdiger Vorschlag“ und verdiene es, im Parlament getestet zu werden, sagte Hammond in der Nacht auf Donnerstag. Wenige Stunden später sagte Hancock der BBC, er sei „sehr, sehr gegen“ eine neuerliche Volksabstimmung. „Es geht darum, das Ergebnis des Referendums zu respektieren, statt es durch ein anderes Referendum infrage zu stellen.“

Bei den Abstimmungen über eine Brexit-Alternative hatte der Vorschlag eines zweiten Referendums die größte Zustimmung erzielt. Zudem unterstützten sechs Millionen Briten eine Petition, in der eine Rücknahme des Brexit gefordert wurde. Realpolitisch ist dies aber nur über den Weg einer neuerlichen Volksabstimmung möglich. Die konservative Regierung stemmt sich aber bisher dagegen, und auch Oppositionsführer Jeremy Corbyn hat die Forderung nach einer zweiten Volksabstimmung nur auf Druck seiner Parteibasis akzeptiert.

May und Corbyn nahmen am Mittwoch Gespräche über einen Brexit-Kompromiss auf, die am Donnerstag in Arbeitsgruppen fortgesetzt werden sollten. Der Labour-Chef teilte nach dem ersten Treffen mit, dass er die Frage eines zweiten Referendums angeschnitten, May ihren Widerstand aber bekräftigt habe. Weil das Unterhaus am späten Mittwochabend mit knapper Mehrheit ein Gesetz zum Ausschluss eines No-Deal-Brexit annahm, wurde umgehend darüber spekuliert, dass Corbyn die Referendumsforderung fallen lassen könnte.

Schatten-Außenministerin Emily Thornberry betonte am Mittwochabend in einem Brief an Corbyn, dass Labour jedenfalls auf einem Referendum „bestehen“ müsse. Alles andere wäre ein Bruch von Parteitagsbeschlüssen, warnte sie. Dagegen meinte die Corbyns Lager zugerechnete Schatten-Justizministerin Shami Chakrabarti in der BBC, das Referendum sei „kein Selbstzweck“. Ihre Präferenz sei eine Parlamentswahl.

Die Referendumsgegner innerhalb der Labour Party schickten am Donnerstag einen Brief an Corbyn, in dem sie ihm zu einem Kompromiss mit May rieten. Ein zweites Referendum würde die Siegeschancen von Labour bei vorgezogenen Unterhauswahlen verringern, hieß es in dem von 25 Abgeordneten unterzeichneten Schreiben. Corbyn solle nicht auf einer Volksabstimmung bestehen, da diese „viele Monate der Ungewissheit“ bedeuten und nur der extremen Rechten Zulauf verschaffen würde.

Die EU-Gegner starteten indes eine Kampagne gegen pro-europäische Tory-Abgeordnete. „Wählt die Tory-Verräter ab. Jetzt ist die Zeit dafür“, hieß es in einem Aufruf der Kampagne „Leave.eu“. Wer noch nicht Tory-Mitglied sei, solle der Partei beitreten, um in den jeweiligen Wahlkreisen Misstrauensvoten zu unterstützen. Leave.eu veröffentlichte unmittelbar nach dem Parlamentsvotum am Mittwochabend eine Liste von 14 Tory-Abgeordneten, die gegen einen No-Deal-Brexit gestimmt haben. Am vergangenen Freitag war eine solche Abwahl-Initiative, angeführt von einem früheren UKIP-Politiker, bereits erfolgreich gewesen. In seinem Wahlkreis Beaconsfield war der pro-europäische Abgeordnete Dominic Grieve abgesetzt worden.

In Brüssel versuchte die EU-Kommission Gelassenheit angesichts des sich nähernden Austrittsdatums zu signalisieren. Mehrere EU-Kommissare traten am Donnerstag auf, um über den Stand der Vorbereitungen in den Bereichen Verkehr, Gesundheit und Lebensmittelsicherheit zu informieren. So würden Notfallmaßnahmen die Verkehrsverbindungen nach einem Hard Brexit garantieren, hieß es. Auch für die Versorgung mit Arzneimitteln sei gesorgt. Die Wahrscheinlichkeit eines ungeordneten Brexit schätzte EU-Kommissionsvize Jyrki Katainen als sehr hoch ein. Das Europaparlament beschloss am Donnerstag, dass Briten nach dem EU-Austritt für drei Monate ohne Visum in die EU-Staaten reisen können, sofern es eine entsprechende Gegenleistung von britischer Seite gibt.

Eine Wahlprognose des Projekts „Poll of Polls by POLITICO“ für die APA zeigte indes, dass eine britische Teilnahme an der Europawahl dem Lager der EU-Skeptiker zur relativen Mehrheit in Straßburg verhelfen könnte. Die drei Rechtsfraktionen kämen demnach auf 183 Mandate und wären zusammen stärker als die Europäische Volkspartei mit 174 Mandaten. Die Sozialdemokraten könnten mit den Mandaten der britischen Labour Party ihren Rückstand auf die EVP deutlich verkürzen und würden bei 154 Mandaten landen.

(Grafik Nr. 0087-19, 88 x 124 mm)