Neues Buch zeigt wechselvolle Geschichte des Parlaments von 1933-56
Wien (APA) - Zwischen 1933 und 1956 wurden im Parlament am Wiener Ring keine Gesetze gemacht. Das Buch „Inbesitznahmen“, das gestern, Donner...
Wien (APA) - Zwischen 1933 und 1956 wurden im Parlament am Wiener Ring keine Gesetze gemacht. Das Buch „Inbesitznahmen“, das gestern, Donnerstag in Wien präsentiert wurde, zeichnet erstmals diese wechselvolle Geschichte des Gebäudes in diesen Jahren nach - von der Stilllegung und späteren Degradierung zum „Haus der Bundesgesetzgebung“ unter dem Dollfuß/Schuschnigg-Regime bis zum Gauhaus der NSDAP.
Lebendig und detailreich beschreiben die Wiener Historiker Verena Pawlowska, Ina Markova und Bertrand Perz in dem knapp 450 Seiten dicken, mit vielen Bildern und Faksimiles illustrierten Band, wie sich die beiden Regimes das Hohe Haus - symbolisch wie real - angeeignet haben und wie die Republik Österreich es schließlich wieder in Besitz genommen hat.
„Schön still sind die Gänge. Man kann so seinen Gedanken nachhängen“, schildert im Herbst 1933 im „Österreichischen Abendblatt“ ein namenloser Autor seinen „Besuch im toten Parlament“. Ein halbes Jahr davor war es zur „Selbstausschaltung“ des Nationalrats gekommen. Das Gebäude, in dem eben noch Parlamentarier und Amtswarte, Elektriker und Kohlenführer, Bibliothekare und Stenografen ihrer Arbeit nachgingen und manch Privilegierte sogar eine Dienstwohnung bewohnten, stand danach 21 Monate lang fast durchgehend leer. Parlamentsrestauration, Tabaktrafik, Postamt, Friseurladen und Bad - alles geschlossen. Nur der Bundesrat blieb als „Rest des österreichischen Parlamentarismus“ aktiv.
Mit dem Umbau des Staates wurde das Haus am Ring im Dollfuß/Schuschnigg-Regime zum „Haus der Bundesgesetzgebung“ „degradiert“. Die neuen Mandatare hatten im Wesentlichen die Funktion beratender Experten. Selbst der Bundesrat als beschließendes Organ konnte umgangen werden, bei zwei Drittel der damals erlassenen Gesetze war das auch der Fall. Weil das Parlamentsgebäude für die neuen Gremien der Bundesgesetzgebung viel zu groß war, bot das Haus in diesen Jahren diversen „Untermietern“ vom Verfassungsgerichtshof über verschiedene Kommissionen bis zum Reichsbauernbund Platz.
Mit März 1938 wurde der nach Plänen von Theophil Hansen errichtete Prachtbau wieder zum Machtzentrum: Reichskommissar Josef Bürckel organisierte von hier aus die „Wiedervereinigung“ Österreichs mit dem Deutschen Reich, zusätzlich residierten hier Abteilungen, die sich etwa mit Arisierungen und Abstammungsfragen befassten oder Propagandamaterial sammelten. Als Wachmannschaften wurden SS und SA eingesetzt, wobei ihre Zahl mit Beginn des Krieges deutlich schrumpfte.
Mit 1940 hatte das zwischenzeitlich generalsanierte Parlament als Dienstsitz des Reichskommissars ausgedient. Nachdem Ideen für die weitere Nutzung als „Anschluss-Institut“ oder Museum verworfen wurden, sollte es bis 1945 zum „schönsten Gauhaus im deutschen Reich“ werden. Bis zum Ende des Krieges sollte das nunmehrige Gauhaus, in dem Gauleiter und Reichsstatthalter Baldur von Schirach zur militärischen Ertüchtigung seiner Mitarbeiter im Keller auch einen Schießstand einrichtete, nun in einer für die Autoren „perfiden Umdeutung der ursprünglichen Funktion des Parlamentsgebäudes“ als Ort der „wahren Volksvertretung“ ausgegeben werden.
Es war auch Veranstaltungsort für Appelle, Parteischulungen, Tagungen etwa von Parteijugend und -frauen oder der SA, zusätzlich wurden hier etwa Fechttourniere ausgerichtet. Mit Fortschreiten des Kriegs wurden in dem System von Stollen und Gängen unter dem Haus Luftschutzräume für insgesamt 750 Personen eingebaut, zusätzlich wurde Material wie Luftschutzschilder, Batterien und Ledergasmasken angeschafft. Im Februar 1945 wurde das Gebäude schließlich bei Fliegerangriffen der alliierten Luftwaffe von Bomben getroffen.
Am 29. April 1945 trat die Provisorische Regierung Österreichs im Sitzungssaal des ehemaligen Abgeordnetenhauses im Parlamentsgebäude zusammen und startete damit den Prozess der demokratischen Wiederaneignung. Zunächst musste das Gebäude allerdings wieder instand gesetzt werden, immerhin waren 60 Prozent des Hauses beschädigt, 15 Prozent sogar völlig zerstört. Teils verliefen die Arbeiten allerdings schleppend, das Budget war knapp. Der Plenarsaal des Nationalrats sollte überhaupt erst 1956 fertiggestellt werden.
Nationalratspräsident Felix Hurdes (ÖVP) eröffnet am 8. Juni diesen Jahres „die erste Sitzung des Nationalrates, der in einem endlich frei gewordenen Österreich gewählt wurde“. Im neuen Plenarsaal wurden mehr als mehr als 2.400 Sitzungen abgehalten, ehe im Herbst 2017 das Parlamentsgebäude für die umfassende, derzeit laufende Sanierung geschlossen wurde. Bis Sommer 2021 soll diese abgeschlossen sein.
(S E R V I C E - Bertrand Perz, Verena Pawlowsky, Ina Markova: „Inbesitznahmen“, herausgegeben von der Parlamentsdirektion Wien, Residenzverlag, 448 Seiten, 28 Euro)