Die Stille des Klangmassivs: Currentzis‘ Verdi-Requiem

Wien (APA) - Die Stille von Hunderten ist schwer zu ertragen. Minutenlang harren Teodor Currentzis mit erhobenen Händen und seine rund 200 M...

Wien (APA) - Die Stille von Hunderten ist schwer zu ertragen. Minutenlang harren Teodor Currentzis mit erhobenen Händen und seine rund 200 Musiker und Choristen mit gezückten Instrumenten aus, nachdem das letzte „Libera me“ verklungen ist. Das Stück ist noch nicht zu Ende, der Dirigent verordnet Schweigen. Schließlich kommt von irgendwo voreiliges, ungeduldiges Klatschen. Dann brandet Jubel.

musicAeterna hat gestern, Freitag, Verdis Requiem im Wiener Konzerthaus aufgeführt. Und das verschworene Ensemble aus Orchester, Chor und Guru Currentzis aus dem fernen Perm im Ural ist seinem Ruf als aufregendste Interpretationsmanufaktur unserer Zeit einmal mehr gerecht geworden. Das opernhafte Schönklang-Requiem aus der Feder des Italianita-Meisters Verdi wird zum Psychothriller. Es geht um alles. „Mors“ („Tod“) flüstert Bass Tareq Nazmi mit schreckensgeweiteten Augen, nachdem sich die „Tage des Zorns“ („Dies irae“) wie ein Wolkenbruch ergossen haben. Teodor Currentzis ist ein Magier der Dramaturgie. Schon die ersten Takte sind Programm: Kaum hörbar das Flüstern der Chor-Hundertschaften und der stets im Stehen musizierenden Streicher. Aus der Stille wird die Musik geboren und in die Stille wird sie zurückkehren. Gerade im Requiem.

Currentzis ist längst zur Trumpfkarte des Konzerthauses geworden - in der kommenden Saison wird er hier Mozarts Da-Ponte-Opern, sämtliche Beethoven-Symphonien und dazu noch Mahler mit seinem anderen Orchester, dem SWR, dirigieren. Ausverkaufte Ränge sind garantiert, wer ihn noch nicht kennt, will dem Phänomen, das mittlerweile sogar das Magazin in der U-Bahn ziert, auf die Spur kommen. Wer ihn kennt, kommt wieder. Currentzis, insbesondere mit musicAeterna, steht für das Versprechen, Teil von etwas Außergewöhnlichem zu werden. Musik in einer Fülle zu erfahren und zu verstehen, die ein ganz seltenes Geschenk ist. Das liegt an den phänomenalen Leistungen seiner Musiker, es liegt an der Intelligenz, mit der in den Stücken Sinn gesucht und geformt wird. Und an der Tatsache, dass Currentzis mit seiner physischen Präsenz, mit jeder seiner im besten Sinn expressiven Bewegungen, die Musik, und was sie will, Gestalt annehmen lässt.

Als Solistenquartett waren Zarina Abaeva, ebenfalls aus Perm und nun als Debütantin in Wien, Varduhi Abrahamyan, Rene Barbera und Tareq Nazmi im Einsatz - und standen trotz ihrer extensiven Partien und sehr guten Leistungen nicht wirklich im Zentrum. Denn das vokale Herz schlägt unumstößlich im Chor, der auch in großer Besetzung mit atemberaubender Höchstspannung agiert. Ein einziges, vielstimmiges Instrument, das dem kaum zentimetergroßen Crescendo zwischen Currentzis‘ Daumen und Zeigefinger mit einer stufenlosen Geschmeidigkeit folgt, die fast schon irritierend ist. „Et lux perpetua luceat eis“ („Und das ewige Licht leuchte ihnen“), heißt es da, Silbe für Silbe versehen mit Dynamik, mit Gnade und Suspense. Das Licht leuchtete, aber die Stille durfte sich nicht senken. Zu ungeduldig das Publikum. Standing Ovations.

(S E R V I C E - www.konzerthaus.at)