Influencer als Werbebotschafter: Gurus oder Schnorrer?
Ein philippinischer Hotelier hatte letzte Woche Influencern ausgerichtet, es einmal mit einem richtigen Job zu versuchen und fürs Übernachten zu zahlen. Viele Marketing-Profis setzen hingegen auf die Internet-Idole.
Von Anita Heubacher
Innsbruck — Vor zwei Jahren saß Ischgls TVB-Chef Andreas Steibl mit Dagi Bee in der Gondel hinauf auf die Idalpe. Wenn Sie nun fragen, Dagi wer?, dann sind Sie vermutlich jenseits der 30.
Dagi Bee ist 24 Jahre alt, ist eine von Deutschlands Top-Influencerinnen, also Beeinflusserinnen, Meinungsmacherinnen, Idolen in sozialen Medien. 5,7 Millionen Fans folgen ihr auf Instagram, 1,4 Millionen gefällt ihre Facebook-Seite und Dagi Bee hat vier Millionen Abonnenten auf dem Videokanal Youtube. Wie viel Dagi Bee verdient, darüber scheiden sich im Netz die Geister. Die Schätzungen reichen von 75.000 Euro bis 287.000 Euro im Monat. Letzteres hat die Influencerin dementiert. Ausgesorgt dürfte sie so oder so haben.
Andreas Steibl ist davon überzeugt, dass der Einfluss der Influencer noch stärker werden wird. „Als Dagi Bee in die Gondel stieg, setzte sie ihren ersten Post ab. Bei der Mittelstation waren es 24.000 Kommentare, die sie erhalten hatte, auf der Idalp 60.000." Die Fahrt dauert ein paar Minuten.
Als Chef des Tourismusverbandes ist Steibl gewöhnt, die Werbetrommel zu rühren. „Was da mit den Influencern abgeht, ist allerdings ein Wahnsinn." Die Szene ändere sich rasch, vieles basiere auf Erfahrungswerten, auf Agenturen könne man sich in dem Feld nicht verlassen, auch dort mangle es an Fachwissen. „Experte ist auf dem Gebiet niemand. Wir auch nicht." In der Zwischenzeit setzt Ischgl auf Influencer mit weit weniger Followern, sprich Fans, als Dagi Bee sie hat. „Wichtig ist, dass der Influencer auch zur Zielgruppe passt. In unserem Fall sollte er oder sie halt Skifahren oder Snowboarden können und mögen." Eine Beschreibung, die auf Barbara Perez zutrifft. Steht die Influencerin aber vor einem Ischgler Logo, dann sinkt laut Steibl die Werbewertigkeit bis zu zwei Drittel. „Es muss authentisch sein, sonst zieht es bei den Followern nicht. Es reicht, wenn sie einmal Ischgl schreibt, das Logo braucht es gar nicht." Eine Gratwanderung für jeden Werber. „Wir zahlen nicht pro Post, aber wir verwöhnen unsere Influencer von A bis Z", sagt Steibl.
Bei der Tirol Werbung bezweifelt man die Werbewirksamkeit von Influencern. „Im Produktbereich ist das etwas anderes, da kann es funktionieren. In der Tourismuswerbung lenkt das tolle Kleid sehr rasch von der tollen Landschaft ab", sagt Manuela Mörtenbäck. Sie ist für die Reisepresse bei der Tirol Werbung zuständig. Wohl wissend, dass andere wie Hallstatt oder die Südtiroler Seiser Alm auf Influencer setzen, meint sie: „Für Destinationen ist der Output zu klein." Die Tirol Werbung schätzt Blogger. „Der Blog ist ein redaktioneller Beitrag, da gibt es Informationen zu den Bildern." Die Influencer-Szene beurteilt Mörtenbäck kritisch. „Da sind viele Selbstberufene dabei, die von sich meinen, sie seien Influencer."
Die Nase voll von Influencern hatte vor wenigen Tagen ein Hotelier auf den Philippinen. Er riet den „schnorrenden Influencern", es doch einmal „mit richtiger Arbeit" zu versuchen, um für Essen, Trinken und Übernachtung in seinem Luxusresort bezahlen zu können. Die Nachricht verbreitete sich via Facebook, landete in Nachrichtenagenturen und vielen Medien. Der Großteil der Leser gab dem Hotelier Recht. Und er ist nicht der Einzige, der Influencer verbannte. Auch ein Dubliner Hotelier outete eine Youtuberin, die fünf Tage mit ihrem Freund gratis logieren wollte, als Schnorrerin. Als die sich unter Tränen gegen den Angriff wehrte, drehte sich der Wind im sozialen Netzwerk. Plötzlich stand der Hotelier schlecht da.
Über Sinn und Unsinn von Investitionen ins Influencer-Marketing scheiden sich die Geister. Gestern berichtete die dpa von einer Umfrage, wonach sich in Deutschland fast jeder Fünfte schon einmal beim Einkaufen von Influencern beeinflussen hat lassen. Vor zwei Jahren seien die Werte deutlich niedriger gewesen, berichtet der deutsche Bundesverband Digitale Wirtschaft. In der Altersgruppe 16 bis 24 Jahre gibt fast jeder Zweite an, ein Produkt wegen Influencer-Werbung gekauft zu haben. Befragt wurden 1051 Deutsche.
Verena-Annabella Ratz: “Influencermarketing flacht noch lange nicht ab“
Dass eine Influencerin nicht in einer Großstadt leben muss, beweist die Tirolerin Verena-Annabella Ratz alias „Who is mocca?". Von Aldrans aus ist sie seit 2013 als Bloggerin tätig. Heute folgen ihr über 40.000 Follower — nur auf Instagram. Sie zählt damit zu den erfolgreichsten Influencern Tirols. Was mit einem persönlichen Blog begann, entwickelte sich zum „Blogazine", einer Mischung aus Blog und Onlinemagazin. Neben whoismocca.com betreibt Ratz auch eine eigene Agentur für Content- und Social-Media-Marketing.
Wie sind Sie zum Bloggen gekommen?
Verena-Annabella Ratz: Zum Bloggen gekommen bin ich über meine Leidenschaft für Mode, Beauty und die schönen Dinge im Leben, die mich täglich begleiten.
Ab welcher Anzahl von Followern kommen Aufträge, etwa von Hotels, herein?
Ratz: Da gibt es keine Richtlinie. Was zählt, ist ein gutes und einladendes Profil mit Usern, die den eigenen Inhalt wertschätzen und gerne konsumieren.
Was sind die gängigen Bedingungen für Influencer, wenn man eine Reisekooperation eingeht?
Ratz: Neben einer authentischen Vorgehensweise, Zuverlässigkeit und Schnelligkeit des Influencers gibt es im besten Falle vom Kunden ein ausführliches Briefing mit allen Richtlinien zur Umsetzung.
Glauben Sie, Influencermarketing befindet sich noch im Aufschwung — oder haben Sie das Gefühl, es nimmt ab oder verändert sich?
Ratz: Aufschwung ist vielleicht das falsche Wort. Es verändert sich aktuell wieder sehr viel, flacht aber meiner Meinung nach noch lange nicht ab.
Können Sie von Ihrer Arbeit als Bloggerin leben?
Ratz: Ja, mit meinem Blog bin ich seit mehreren Jahren selbstständig. Zudem coachen wir über unsere eigene Agentur andere Blogger und geben Blogger-Workshops.
Das Interview führte Barbara Unterthurner