EU-Wahl - Europas politische Landschaft war immer massiv in Bewegung
Wien (APA) - Glaubt man den Umfragen, wird die Europawahl Ende Mai zur historischen Zäsur für die EU. Erstmals werden die großen Parteienfam...
Wien (APA) - Glaubt man den Umfragen, wird die Europawahl Ende Mai zur historischen Zäsur für die EU. Erstmals werden die großen Parteienfamilien Konservative und Sozialdemokraten keine Mehrheit im EU-Parlament haben. In gewisser Weise werden die Uhren damit um vier Jahrzehnte zurückgedreht, verbuchten Sozialisten und Europäische Volkspartei (EVP) doch bei der ersten Europawahl 1979 ihr schlechtestes Ergebnis.
Bei der ersten Direktwahl des Europäischen Parlaments in der damals aus neun Mitgliedsstaaten bestehenden Gemeinschaft schafften die beiden großen Parteienfamilien nur knapp die „Absolute“. Die Sozialisten hatten dabei mit 27,3 zu 26,3 Prozent knapp die Nase vorne. Hauptgrund dafür war die Spaltung des konservativen Lagers, bildeten doch die französischen Gaullisten und die britischen Konservativen eigene Fraktionen. Letztere waren mit 15,6 Prozent sogar die drittstärkste Fraktion im ersten direkt gewählten Europaparlament. Wegen des Mehrheitswahlrechts hatten sich die Tories von Premierministerin Margaret Thatcher nämlich 60 der 81 britischen Mandate in Straßburg sichern können.
Bis zur Europawahl 1994 blieben die Sozialdemokraten die größte Fraktion im Europaparlament. Damals erzielten sie mit 34,9 Prozent der Stimmen auch ihr bisher bestes Ergebnis. Seit 1999 ist die Europäische Volkspartei die stärkste Kraft in Straßburg. Damals verbuchte sie, auch aufgrund des Zusammenschlusses mit den Tories, ihr historisch bestes Ergebnis (37,2 Prozent). Bei dieser Wahl kamen die beiden großen Fraktionen zusammen auf 65 Prozent, so viel wie nie zuvor und danach. Ihre Minusrekorde hatten die beiden großen Parteienfamilien im Jahr 1989 (EVP 23,4 Prozent) und 2009 (SPE 25 Prozent).
Tendenziell nach unten ging es für die Linksparteien. So verbuchten die Kommunisten bei der ersten Direktwahl des Europäischen Parlaments mit 10,7 Prozent ihren Höchstwert. 2009 wurde mit 4,8 Prozent der Tiefpunkt erreicht. Vor fünf Jahren konnten die Linken wieder auf 6,9 Prozent zulegen, unter anderem wegen ihres starken Abschneidens in Deutschland und weil sie in Griechenland die größte Regierungspartei stellen.
Stabil halten konnten sich hingegen die liberalen Parteien. Mit Werten rund um die Zehn-Prozent-Marke waren sie bei den meisten Europawahlen drittstärkste Kraft, wobei ihnen die EU-Osterweiterung im Jahr 2004 einen politischen Kick gab. Wegen der führenden Rolle liberaler Parteien in mehreren EU-Mitgliedern verbuchten die Liberalen bei der damaligen Europawahl mit 12 Prozent ihr bisher bestes Ergebnis, zwei Jahrzehnte nach ihrem Tiefststand von 7,1 Prozent im Jahr 1984.
Die Grünen betraten bei der zweiten Europawahl 1984 die europäische Politbühne. Zunächst waren sie aber Teil einer „Regenbogenfraktion“, der unter anderem auch die dänische „Volksbewegung“ für einen Austritt aus der Europäischen Gemeinschaft angehörte. Der Mandatsanteil der Grünen schwankte seitdem kaum, wobei die Extremwerte hintereinander verbucht wurden (4,1 Prozent im Jahr 1994 und 7,7 Prozent im Jahr 1999).
Alle Augen richten sich bei der Europawahl darauf, wie die EU-Skeptiker abschneiden werden. Sie mischen seit 1994 im Europaparlament mit, als sich die Fraktion „Europa der Nationen“ rund um EU-Gegner aus Dänemark, Großbritannien, den Niederlanden und Frankreich formierte. Mit von der Partie war damals mit Charles de Gaulle auch der Enkel des legendären gleichnamigen französischen Präsidenten. Mit gerade einmal 3,4 Prozent hatte diese Fraktion weniger Gewicht als die Fraktionslosen oder auch vom italienischen Premier Silvio Berlusconi gegründete kurzlebige Fraktion „Forza Europa“. Seitdem konnte das europaskeptische Lager stetig zulegen, zersplitterte aber auch. Seit 1999 machen einander zwei europaskeptische Fraktionen Konkurrenz, seit 2014 sogar drei. Weil zwei davon unter Führung britischer Parteien stehen, bietet der Brexit eine Konsolidierungschance für das Lager der EU-Kritiker.
Schon in den vergangenen Legislaturperioden herrschte reges Kommen und Gehen in den europaskeptischen Fraktionen, denen zeitweise etwa auch Berlusconis Forza Italia (jetzt EVP) oder die irische Fianna Fail (jetzt Liberale) angehörte. Einen Schub erhielt das Lager der EU-Skeptiker im Jahr 2009, als die britischen Tories die EVP verließen und die Fraktion „Europäische Konservative und Reformer“ (EKR) gründeten. Mit 9,3 Prozent ist diese Fraktion, der auch die rechtskonservative polnische Regierungspartei PiS angehört, derzeit drittstärkste Kraft im Europaparlament. Die FPÖ gehört seit 2014 der jüngsten europaskeptischen EU-Fraktion an, und zwar der von der französischen Rassemblement National und der italienischen Lega angeführten „Europa der Nationen und Freiheit“ (ENF).
(Grafik Nr. 0491-19, Format offen)