Bankräuber als gefeierter Autor: Nico Walker über sein Debüt „Cherry“

Wien (APA) - Der Amerikaner Nico Walker muss nach Verurteilung wegen zehn Banküberfällen noch einige Monate einer elfjährigen Freiheitsstraf...

Wien (APA) - Der Amerikaner Nico Walker muss nach Verurteilung wegen zehn Banküberfällen noch einige Monate einer elfjährigen Freiheitsstrafe absitzen. Der ehemalige Soldat und Drogenabhängige hat in Haft den Roman „Cherry“ geschrieben und ist zum gefeierten Autor avanciert. „Ich habe meine Vergangenheit mit dem Buch zur Fiktion gemacht“, erzählte Walker in einem Telefonat aus dem Gefängnis mit der APA.

„Wenn ich über mein früheres Leben nachdenke, glaube ich, dass das alles einer anderen Person passiert ist“, sagte der 34-Jährige, der sich just an seinem Geburtstag zum Gespräch meldete. 15 Minuten darf Walker um 6.00 Uhr Ortszeit in Kentucky telefonieren. „Das ist ein Anruf aus einem staatlichen Gefängnis“, erinnert eine Computerstimme mehrmals während des Interviews. „Ich habe mich verändert und durch das Verarbeiten meiner Geschichte in eine fiktive Story eine Distanz zu meinem früheren Leben bekommen“, antwortete Walker auf die Frage, ob Schreiben für ihn eine Art Therapie gewesen sei.

Walker stammt aus Cleveland. Zunächst begann er ein Studium, verpflichtete sich aber mit 19 aus Langeweile als Kriegssanitäter für den Einsatz im Irak. Zurück kehrte er mit sieben Auszeichnungen, aber auch mit einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung. Den Schmerz bekämpfte er mit Heroin, zum Finanzieren seiner Sucht raubte Walker schließlich Banken aus. „Mir war klar, dass ich ganz unten angekommen war“, brummte Walker mit tiefer Stimme in die Leitung.

„Cherry“, ein Blick in amerikanische Abgründe, basiert auf diesem Lebensabschnitt Walkers, ist aber „frei erfunden“, wie der Autor seinem Roman voranstellt. Das hat dem Verlag zufolge auch rechtliche Gründe. Ein Ich-Erzähler legt in „Cherry“ von seinem Weg in die Drogenhölle Beichte ab: Beziehungskrisen, der Schrecken des Irak-Krieges, der Weg in die Kriminalität - all das schildert Walker mit einem überzeugenden Stil, der sachlich, nüchtern und einfach wirkt, aber zugleich literarischem Anspruch gerecht wird.

„Ich habe versucht, eine Balance zwischen einer Sprache, die Menschen in ihrem Alltag verwenden, und einer detailreicheren Sprache zu finden“, betonte Walker. „Das hat etwas Zeit gebraucht. Mein Lektor hat mir dabei die Hölle heiß gemacht.“ Im Gefängnis an einem Roman zu arbeiten, sei ohnehin schwierig: „Es gibt hier so viel Ablenkung, es ist laut, man hat keinen Platz, man entkommt den Leuten nicht. Es ist immer jemand neben dir. Am besten schreibt man, wenn man alleine ist - und ich bin das hier nie.“

„Cherry“ ist ein starker Kommentar zur Opioid-Krise in Amerika. Im Gegensatz zu vielen anderen Drogen-Romanen haftet dem Konsum von Suchtmitteln oder den Konsumenten in Walkers Buch nie auch nur eine Spur von Coolness an. „Was Heroin betrifft, wenn man eine Nadel in den Arm sticht, ist das schnell eine grausliche Angelegenheit“, so Walker. „Da gibt es nichts zu verschönern oder verherrlichen. Dasselbe kann man über den Teil des Buches sagen, der im Krieg spielt. Ich wollte nichts hypen. Ich wollte den Krieg nicht in einem aufregenden Licht erscheinen lassen, weil es sonst ein mieses Buch geworden wäre.“

Den Einsatz der US-Armee im Irak beschreibt Walker desillusionierend. „Das war eines meiner wichtigsten Anliegen“, sagte der Autor und Veteran. „Die Leute, die aus dem Krieg kommen, erzählen immer, wie schrecklich alles war. Aber zugleich soll man sie dafür respektieren, dass sie in den Krieg gezogen sind. Ich hasse das! Niemals hätte ich ein Buch geschrieben, in dem irgendwelche heroischen Schilderungen aus dem Krieg vorkommen. Ich wollte zu dieser Mär vom heroischen Krieg nichts beisteuern.“

Der Erzähler in „Cherry“ greift schon vor seinen Kriegserlebnissen zu Drogen - aus Langeweile und Unvermögen, mit dem Leben etwas anzufangen. Sind das Gründe für das amerikanische Sucht-Problem? „Auf alle Fälle“, meinte Walker und nannte weitere: „Wir in Amerika trennen sehr früh die Gewinner von den Verlierern. Man trichtert schon den Kids ein, ob sie Loser oder Winner sind. Viele wissen es nicht besser, als sich damit abzufinden. Viele sind beschämt über ihr Leben.“

Ohne Selbstmitleid und schonungslos ehrlich lässt Walker seinen Erzähler den Ritt in den Abgrund schildern. „Leser verwechseln oft den Autor mit dem Erzähler“, sagte Walker dazu. „Und kaum ein Autor will, dass seine Leser glauben, er sei ein schlechter Mensch. Darum sind in Büchern die meisten Figuren, aus deren Sicht eine Story erzählt wird, politisch korrekt. Diese Sorgen hatte ich nicht, ich war ja ein schlechter Mensch! Mit ist es völlig egal, wenn jemand meinen Erzähler nicht sympathisch findet. Viel wichtiger ist mir, dass man seine Geschichte nachempfinden kann.“

Gleich der Anfang von „Cherry“ lässt erahnen, welches Schicksal der Erzähler erleiden könnte, springt dann in die Vergangenheit und zeigt, wie es so weit kommen konnte. Über den Schluss seines Romans - das Ende sei hier nicht preisgegeben - meinte Walker: „Ich wollte nicht beschreiben, wie der Erzähler ins Gefängnis geht. Das hat erstens persönliche Gründe. Zweitens wäre es sonst eine dieser typischen Geschichten mit abschreckendem Ende, eine klassische moralische Story. Das wollte ich vermeiden.“

Derzeit arbeitet Walker an Kurzgeschichten, wie er verriet. Die vielen positiven Kritiken für sein Debüt in renommierten Medien würden ihm Kraft geben. „Ich war 26 oder 25, als ich ins Gefängnis kam“, so Walker. „Es war einfach schrecklich. Es konnte eigentlich nicht mehr schlimmer werden. Ich war down! Zurückzukommen und auch noch Erfolg zu haben, bedeutet mir dementsprechend viel. Vor acht Jahren, oder sieben oder sogar drei Jahren, hätte ich mir das nicht vorstellen können. Da wäre mir ein Leben am Saturn noch realer erschienen.“

(S E R V I C E - Nico Walker, „Cherry“, aus dem Amerikanischen von Daniel Müller, Heyne Verlag, gebundene Ausgabe, 384 Seiten, 22,70 Euro)