Mehr als 300 Tote: Sri Lanka als „Rache für Christchurch“
Die Oster-Anschläge auf gläubige Christen in Sri Lanka waren offenbar als Vergeltung für den Anschlag auf Moscheen im neuseeländischen Christchurch im März gedacht. Vize-Verteidigungsminister stellte erste Erkenntnisse der Ermittler vor – und der IS will für die Tat verantwortlich sein. Belege dafür gibt es nicht.
Colombo – Die Selbstmordanschläge von Sri Lanka zielten nach Angaben der sri-lankischen Regierung bewusst auf gläubige Christen, um Rache für die tödlichen Schüsse eines rechtsextremen Einzeltäters auf Moscheebesucher im neuseeländischen Christchurch zu üben. Erste Erkenntnisse der Ermittler deuteten auf eine geplante Vergeltungsaktion hin, erklärte Sri Lankas Vize-Verteidigungsminister Ruwan Wijewardene im Parlament des Inselstaats.
Für die Anschlagsserie mit mehr als 300 Toten macht die Regierung zwei einheimische islamistische Organisationen verantwortlich. Wijewardene unterrichtete das Parlament am Dienstag, dass die radikalen Gruppierungen National Thawheed Jama‘ut (NTJ) und Jammiyathul Millathu Ibrahim (JMI) hinter den Anschlägen stünden.
Am Dienstagnachmittag schaltete sich auch die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) ein und reklamierte die Tat für sich, ohne Beweise zu nennen. „Diejenigen, die den Angriff ausgeübt haben, der vorgestern Mitglieder der US-geführten Koalition und Christen in Sri Lanka zum Ziel hatte, sind Kämpfer des Islamischen Staates“, teilte das IS-Propaganda-Sprachrohr Amaq mit.
42 Festnahmen nach Anschlägen
„Die vorläufigen Untersuchungen haben enthüllt, dass das, was in Sri Lanka passiert ist, Vergeltung für den Angriff auf Muslime in Christchurch war“, sagte Wijewardene. In Christchurch hatte ein australischer Rechtsextremist Mitte März 50 Menschen getötet. Bei der Serie an Explosionen in verschiedenen Orten Sri Lankas waren am Ostersonntag mehr als 300 Menschen ums Leben gekommen.
Zwei Tage nach den Selbstmordanschlägen auf Kirchen und Hotels stieg die Zahl der Todesopfer auf 311. Nach Angaben des UNO-Kinderhilfswerks UNICEF sind auch 45 Kinder ums Leben gekommen. Das jüngste der 13 in Batticaloa gestorbenen Kinder sei erst 18 Monate alt gewesen, in Negombo seien 27 Kinder getötet worden. Außerdem sei der Tod von fünf ausländischen Kindern bestätigt worden, hieß es.
Mehr als 500 Verletzte werden den Angaben zufolge noch in Krankenhäusern behandelt. Sicherheitskräfte nahmen 42 Menschen in Gewahrsam. Darunter sei auch ein syrischer Staatsbürger, hieß es.
Geplanter Anschlag auf viertes Hotel gescheitert
Ein weiterer Anschlag auf ein viertes Hotel in Sri Lanka war am Sonntag laut Ermittlerkreisen geplant, scheiterte aber. Ob die Bombe dort absichtlich nicht gezündet wurde oder nicht funktionierte, war zunächst unklar.
Zwei der Selbstmordanschläge auf Hotels in Colombo sind von einem muslimischen Bruderpaar aus Sri Lanka verübt worden. Die Söhne eines wohlhabenden Gewürzhändlers hätten sich als Gäste ausgegeben und sich in den Hotels Shangri-La und Cinnamon Grand in die Luft gesprengt, erfuhr die Nachrichtenagentur AFP am Dienstag aus Polizeikreisen.
Ein Ermittler sagte, die Brüder seien beide Ende zwanzig gewesen und hätten innerhalb ihrer Familie eine „Terrorzelle“ gebildet. Sie seien führende Mitglieder der Islamistengruppe NTJ,
Macron und Abe verurteilen „Barbarei“
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Japans Regierungschef Shinzo Abe verurteilten die Anschlagsserie von Sri Lanka als „Barbarei“. Beide Politiker betonten am Dienstag bei einem Treffen in Paris die Notwendigkeit einer „internationalen Mobilisierung gegen den Terrorismus“.
Japan will das Thema in diesem Jahr in den Mittelpunkt seines Vorsitzes der G-20-Staaten stellen, Frankreich bei seiner G-7-Präsidentschaft. Abe sprach von „unverzeihlichen und inakzeptablen“ Anschlägen in Sri Lanka. Japan und Frankreich stünden gemeinsam gegen den Terrorismus ein, betonte er.
Terrorhelfer aus dem Ausland?
Vieles blieb über die Täter und ihre Hintergründe unklar. Einer der Attentäter war nach Angaben eines Kabinettsministers vor wenigen Monaten wegen der Beschädigung von Buddha-Statuen festgenommen worden. Bei neun Festgenommenen handelte es sich um Mitarbeiter einer Fabrik, die einem der anderen Täter gehörte. Mehr als 20 Häuser seien inzwischen durchsucht worden, sagte die Polizei.
Sirisena berief ein dreiköpfiges Team ein, das die Anschlagsserie untersuchen und in zwei Wochen einen ersten Bericht vorlegen soll. Die internationale Polizeiorganisation Interpol kündigte an, Spezialisten mit Expertise in den Bereichen Tatortuntersuchung, Sprengstoff, Terrorismusbekämpfung und Opferidentifizierung zu entsenden.
Die Regierung ist überzeugt, dass die Täter Hilfe aus dem Ausland gehabt haben müssen. „Wir glauben nicht, dass diese Angriffe von einer Gruppe von Menschen verübt wurden, die auf dieses Land begrenzt waren“, sagte Kabinettssprecher Rajitha Senaratne. „Es gab ein internationales Netzwerk, ohne das diese Angriffe nicht gelungen wären.“
Notstand ausgerufen
Die Anschläge haben das mehrheitlich buddhistisch geprägte Land tief getroffen: Staatspräsident Maithripala Sirisena rief einen öffentlichen Notstand aus. Die zunächst nicht näher benannten Bestimmungen traten in der Nacht zum Dienstag in Kraft, der zugleich zu einem nationalen Trauertag erklärt wurde. Am Morgen wurden drei Schweigeminuten abgehalten. Zahlreiche Bestattungen waren geplant. Im Ort Negombo, wo am Ostersonntag eine Kirche angegriffen worden war, gab es eine Massenbeerdigung. In der Nacht auf Dienstag galt wie in der Nacht zuvor eine Ausgangssperre. Um das Verbreiten von Gerüchten zu unterbinden, blieb der Zugang zu sozialen Medien gesperrt.
Sirisena habe den Notstand im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der Wahrung der öffentlichen Ordnung und zur Sicherung der Versorgung der Bevölkerung mit Waren und Dienstleistungen erklärt, hieß es in einer Erklärung des Präsidenten. Die Sicherheitskräfte sollen seinem Büro zufolge weitreichende Befugnisse erhalten. Nach dem Gesetz können diese etwa für Hausdurchsuchungen ohne Erlaubnis eines Gerichts und für Verhaftungen ohne Haftbefehl gelten. Solche Bestimmungen waren während des Bürgerkriegs in Sri Lanka von 1983 bis 2009 fast dauerhaft in Kraft – und auch darüber hinaus noch bis 2011.
Keine Österreicher unter Opfern
Bei den Anschlägen wurden auch mindestens 37 Ausländer getötet. Österreicher dürften nach bisherigen Informationen nicht unter den Opfern sein. Allgemein spielt Sri Lanka bei österreichischen Reisenden nur eine sehr untergeordnete Rolle – absolut nicht vergleichbar mit den Seychellen, den Malediven und Thailand, so die Reiseveranstalter Österreichisches Verkehrsbüro und TUI auf APA-Anfrage. Unter den Todesopfern waren Menschen aus Indien, Großbritannien, der Türkei, Australien, Japan, Portugal und den Niederlanden sowie ein Doppelstaatler aus Großbritannien und mindestens vier US-Bürger, darunter ein Deutsch-Amerikaner. 14 Ausländer werden nach Angaben des Außenministeriums Sri Lankas noch vermisst.
Warnungen ausländischer Geheimdienste
Nach den Worten von Senaratne gab es vor den Attacken Hinweise auf Anschlagspläne der „National Thowheeth Jamaath“. Ausländische Geheimdienste hätten bereits am 4. April über mögliche Selbstmordanschläge auf Kirchen und Touristenziele in Sri Lanka informiert. „Wir tragen die Verantwortung, es tut uns sehr leid“, sagte Senaratne im Namen der Regierung.
Staatspräsident Sirisena berief ein dreiköpfiges Team ein, das die Anschlagsserie untersuchen und in zwei Wochen einen ersten Bericht vorlegen soll. Die internationale Polizeiorganisation Interpol kündigte an, Spezialisten mit Expertise in den Bereichen Tatortuntersuchung, Sprengstoff, Terrorismusbekämpfung und Opferidentifizierung zu entsenden.
Die meisten Opfer hatte es bei den Anschlägen in den Kirchen gegeben, in denen gerade Ostergottesdienste stattfanden. In dem Inselstaat sind etwa sieben Prozent der 20 Millionen Einwohner Christen. Knapp zehn Prozent bekennen sich zum Islam. Die überwiegende Mehrheit stellen mit gut 70 Prozent Buddhisten.
Das österreichische Außenministerium schreibt auf seiner Homepage, es bestünde ein „hohes Sicherheitsrisiko von weiteren Anschlägen“. Von nicht notwendigen Reisen wird abgeraten. (APA, Reuters, AFP, dpa)