Pol Pots langer Atem: „Das Geburtstagsfest“ von Judith Taschler
Wien (APA) - Als sie 10 Jahre alt war, nahmen die Eltern von Judith W. Taschler eine kambodschanische Flüchtlingsfamilie auf. Von den damali...
Wien (APA) - Als sie 10 Jahre alt war, nahmen die Eltern von Judith W. Taschler eine kambodschanische Flüchtlingsfamilie auf. Von den damaligen Erfahrungen inspiriert hat die in Innsbruck lebende Linzer Autorin einen ungewöhnlichen Roman geschrieben: „Das Geburtstagsfest“ führt zurück in das grausame Regime der Roten Khmer und die traumatisierenden Ereignisse der 1970er-Jahre.
Wer je in Kambodscha die Killing Fields und Foltergefängnisse des Pol Pot Regimes gesehen hat, ahnt die übermenschlichen Anstrengungen, derer es bedarf, nach einer solchen Hölle auf Erden weiterzuleben und die Wunden in einer Gesellschaft notdürftig zu kitten. Taschler holt dieses Dilemma durch das Schicksal zweier Kambodschanischer Kinder, die in Österreich Asyl bekommen, in unsere Mitte - ohne je Bezüge zu den ähnlichen Problemen hierzulande nach 1945 herzustellen. Doch die zwei Mechanismen, mit den Erinnerungen umzugehen, die sie anhand von Kim und Tevi darstellt, sind universell. Beide Kinder haben die Auslöschung ihrer Familien erleben müssen. Kim will vergessen und verdrängt jede Erinnerung, Tevi versucht den Schrecken zu überwinden, indem sie ihn durch Erzählen bannt.
Taschler hat eine kluge Konstruktion gewählt, um immer wieder Zeit, Ort und Perspektive zu wechseln. Mitunter beschleicht einen freilich das Gefühl, das handwerkliche Geschick mache den existenziellen und realen historischen Schrecken literarisch verwertbar und verliere dabei außer Augen, dass man sich einem solchen Sujet sprachlich nur mit größter Zurückhaltung nähern sollte.
Der 50. Geburtstag des in einer oberösterreichischen Kleinstadt lebenden Architekten und Familienvaters Kim May ist der titelgebende Nukleus von Taschlers Geschichte: Als Überraschungsgast haben seine Kinder jene mittlerweile in den USA lebende Kambodschanerin eingeladen, der er - so die Familienüberlieferung - einst das Leben gerettet hatte und mit der er als Kind nach Österreich gekommen war. Es ist keine schöne Überraschung für Kim, denn mit Tevi verbindet ihn viel mehr als seine Familie ahnt. In vielen einzelnen Erinnerungsschritten erfährt der Leser in der Folge vom Leben der beiden in Kambodscha, ehe die Roten Khmer die Macht übernahmen, von der Zeit des Schreckens, in der jeder zum Täter werden musste, wollte er nicht zum Opfer werden, und von der Zeit ihrer Flucht und Migration.
Viele Familiengeheimnisse werden dem Leser im Verlauf der 350 Seiten enthüllt, die mitunter ziemlich überlastet wirken von allem Leid, Schuld und Schrecken, die in sie gepackt werden. Doch muss man zugestehen: Spannend ist der Roman, der die heimische Provinz mit dem Weltgeschehen auf ungewöhnliche Weise verbindet. Seine erzählerische Intention ist jedenfalls wohl nicht nur der Literatur, sondern auch dem Seelenleben zuträglich: besser beim Reden sich verplappern als am Schweigen ersticken.
(SERVICE - Judith W. Taschler: „Das Geburtstagsfest“, Droemer, 350 Seiten, 22,70 Euro, ISBN 978-3-426-28188-8; www.jwtaschler.at)