„Vorhang auf für Cyrano“: Sehnsucht nach Sensationen
In seiner feinen Komödie „Vorhang auf für Cyrano“ erzählt Alexis Michalik die erfundene Entstehungsgeschichte des erfolgreichsten französischen Theaterstücks.
Von Peter Angerer
Innsbruck –Den Dramatiker Edmond Rostand (Thomas Solivérès) quält seit zwei Jahren eine Schreibblockade. Schon zuvor haben bei seinen Versdramen trotz der Mitwirkung Sarah Bernhardts Kritiker und Publikum die Flucht ergriffen. In ähnlicher Bedrängnis befindet sich Constant Coquelin (Olivier Gourmet), der als Schauspieler gefeiert wird, als Theaterdirektor jedoch vor dem Ruin steht. Ihm bleiben 1897 noch drei Wochen bis zum endgültigen Konkurs. Wenn allerdings Rostand in dieser Frist ein Stück gelänge, das Geldgeber wie Publikum überzeugen würde, könnte ein Sonnenstrahl zum Jahreswechsel ganz Paris erwärmen.
In der Not hilft Autoren bisweilen ein Spaziergang durch die Bibliothek. Die Romane von Vater und Sohn Dumas sind längst dramatisiert, doch daneben lungert das Buch eines Autors aus dem 17. Jahrhundert, der, jung verstorben und vergessen, vorerst einen vielversprechenden Titel abgibt: „Cyrano de Bergerac“.
Aus dieser Ausgangssituation konstruiert der Schauspieler Alexis Michalik (er ist als Georges Feydeau zu sehen) in seinem Regiedebüt „Vorhang auf für Cyrano” eine Screwball-Komödie über die Entstehungsgeschichte des (mit 40.000 Aufführungen) erfolgreichsten französischen Theaterstücks. Ganz nebenbei enthüllt er auch die Finessen des Fin de Siècle.
Zwei Investoren, die mit einem Bordell zu Geld gekommen sind, finden Gefallen am Titel. Für ihr Kapital erwarten sie sich zudem die Berücksichtigung einiger Damen aus ihrem „Hühnerstall“ auf der Besetzungsliste.
Kaum ist das Spiel eröffnet, fliegen Rostand im magischen Windhauch der Inspiration Intrigen, amouröse Verwicklungen und Reime zu. Sein bester Freund, der Schauspieler Léo Volny (Tom Leeb), bittet ihn um Unterstützung bei der Eroberung der Garderobiere Jeanne (Alice de Lencquesaing), die sich nur von Liebesbriefen in Versmaß betören lässt. Als Ghostwriter für den tumben Filou entwirft er schwülstige Alexandriner, die ihre Wirkung nicht verfehlen und Eingang in das Stück finden. Obwohl die Proben begonnen haben und Eile geboten ist, bleibt noch Zeit für kleine Ausschweifungen, die nach dem strengen literarischen Plan mit kleinen Wortspenden belohnt werden. Im Puff trifft Rostand den Kollegen Anton Tschechow, bei einer Filmvorführung der Brüdern Lumière begreift er die Sehnsucht des Publikums nach Sensationen und Wundern, sein „Cyrano de Bergerac“ schreibt sich geradezu von selbst. Bisweilen lässt die Realität den Ballon auf dem Höhenflug platzen, wenn Rostands Ehefrau einen eifersüchtigen Blick auf die Texte wirft, zwischen Fantasie und Erlebtem nicht unterscheiden kann und in die Verzweiflung einer Betrogenen taumelt. Da ziehen Coquelin/Cyrano und Léo/Christian auf der Bühne aber längst in den Krieg und ihre Degen, während Roxane sehnsüchtig auf die Heimkehr ihres Helden wartet, nur um erkennen zu müssen, das Opfer einer Täuschung geworden zu sein.
Alexis Michalik setzt bei seiner Inszenierung auf Schnelligkeit, die über manche Unebenheiten im Ablauf der Verdoppelungen der Figuren und Ereignisse in diesem Theater-im-Theater hinwegtäuscht. Letztlich bleibt die Leichtigkeit von Rostands „Cyrano“, die für zwei Stunden Vergnügen bereitet. Vielleicht gibt es auch einmal einen Film über den wahren Cyrano de Bergerac (1619–1655). Er war einer der großen Erfinder der Weltliteratur.