Eine Erlaubnis zum Sporteln: Ärztekammer will Marathon-Attest
Die Österreichische Ärztekammer fordert eine verpflichtende sportmedizinische Untersuchung vor Wettkämpfen. Experten sehen das Vorhaben kritisch.
Von Manuel Lutz
Innsbruck –Der tragische Todesfall eines Teilnehmers beim Vienna City Marathon vor etwas mehr als zwei Wochen sorgt weiter für Diskussionen. Die Österreichische Ärztekammer (ÖAK) fordert nun vehement eine verpflichtende sportmedizinische Tauglichkeitsuntersuchung für alle Sportler, die an Wettkämpfen teilnehmen. Explizit sind damit Veranstaltungen gemeint, die von Vereinen der Bundessportorganisation (BSO) ausgerichtet werden. So auch der Vienna City Marathon. Vor wenigen Monaten ist bereits das Konzept an das Sportministerium übergeben worden.
„Wo waren die Spezialisten in den vergangenen 26 Jahren? (Seither gab es keinen Todesfall mehr, Anm. d. Red.) Warum wurde zuvor nichts gefordert?“, zeigt sich Wien-Marathon-Chef Wolfgang Konrad verärgert. Der Tiroler spricht sich klar für eine freiwillige Untersuchung aus, jedoch nicht unter diesen Rahmenbedingungen: „Jeder Sportler muss auch Eigenverantwortung übernehmen. Eine Pflicht geht für meinen Geschmack zu weit.“ Der Tiroler Internist und Sportmediziner Kurt Moosburger zieht einen Vergleich: „Das ist die gleiche Frage wie bei der Impfpflicht. Impfen ist sinnvoll und wichtig, um sich und seine Mitmenschen zu schützen. Es geht primär um eine seriöse Aufklärung. Die Untersuchung ist sinnvoll. Man sollte darüber diskutieren, ob man mündige Menschen zu etwas zwingen sollte. “
Auch für Sportmediziner Robert Fritz, seit Jahren verantwortlich für das Medical Center beim Wien-Marathon, sei eine Untersuchung zu 100 Prozent sinnvoll. Der Wiener fragt sich jedoch, wo die Grenzen gesetzt werden. „Machen wir das bei einem Firmenlauf auch? Oder wenn jemand auf den Berg geht? Beim Skifahren ist die häufigste Todesursache ein Herzinfarkt. Körperliche Anstrengung gibt es in vielen Facetten“, weiß Fritz. Konrad und Fritz sind sich einig, dass dies mehr Leute vom Sport abhalten würde und es in die falsche Richtung geht. „Sport ist gesund und die beste Prävention. Bei einem Wettkampf hat man bessere medizinische Betreuung als wenn ich alleine auf den Berg gehe“, so Fritz.
Diese Meinung vertritt der Präsident der Tiroler Ärztekammer Artur Wechselberger nicht. Die Beschränkung auf Wettkämpfe macht für den Tiroler Sinn: „Bei einem Wettkampf wird der Körper besonders gefordert, um das Ziel in einer gewissen Zeit zu erreichen und nicht Letzter zu werden.“ Als Abschreckung vor der Teilnahme bei Wettbewerben sieht er es ebenso nicht.
Konrad fragt sich zudem, wie die Umsetzung erfolgen soll. „Sollen bei der Startnummernausgabe anstelle von 90 Schülern, die freiwillig helfen, 90 Ärzte stehen, die das kontrollieren? Wenn es eine Lösung gibt, bin ich der Erste, der sagt: ,Das machen wir‘“, so Konrad. Aus Sicht der Initiatoren soll das Attest bei der Anmeldung hochgeladen und von den Veranstaltern kontrolliert werden.
Als Vorbild dient dabei das italienische Modell. Seit der Einführung im Jahr 1982 sind Sporttauglichkeitsuntersuchungen bei Wettkämpfen vorgeschrieben. Durch das Screening-System habe sich die jährliche Rate des plötzlichen Herztodes beim Sport von 3,6 auf 0,4 pro 100.000 Personen pro Jahr reduziert. Sportmediziner Fritz steht den Zahlen kritisch gegenüber: „Die 3,6 pro 100.000 Menschen in der Studie ist höher als sonst wo auf der Welt.“ An dem Modell der Italiener findet der Wiener jedoch auch Gefallen, denn die Untersuchungen werden nur von akkreditierten Sportärzten durchgeführt. Dies wäre laut Wechselberger auch hierzulande der Fall. „In Österreich gibt es 2000 Sportmediziner mit einem sogenannten ÖAK-Diplom.“
Jedoch könnte man auch so nicht 100-prozentig einen Zwischenfall ausschließen. „Ein Arztstempel ist noch keine Garantie“, merkt Moosburger an. Wenn ein Sportler nach einer Untersuchung mit einem verschleppten grippalen Infekt an den Start geht, bestehe genauso ein Risiko. „Schützt ein Attest, wenn etwas passiert?“, fragt sich Konrad. So ist der Veranstalter froh, ein Medical Center zu haben, da es wichtig für die Prävention ist. „Wenn sich jemand nicht fit fühlt, kommt er zu uns. Dieses Jahr haben wir so 20 Teilnehmer vor dem Start aus internistischen Gründen rausgenommen“, erzählt der Mediziner.
Fritz würde sich indes eine Förderung der Regierung wünschen: „Man sollte hier ein Boni-Programm wie in Deutschland machen, das die Leute motiviert, diese Untersuchung durchzuführen.“ Auch Moosburger weiß, dass die Österreicher nicht gerne Geld für medizinische Versorgung ausgeben: „Medizin darf nichts kosten.“ Dass jeder die kostenlose Vorsorgeuntersuchung nützt, wäre ein Anfang.