Mitschüler mit Messer attackiert: „Wollte ihm Lektion erteilen“
Prozess wegen zweifachen Mordversuchs: Aus nichtigem Grund kam es an einer Berufsschule in Absam zu lebensgefährlichen Stichen. Eine Persönlichkeitsstörung des Schülers steht im Hintergrund.
Von Reinhard Fellner
Innsbruck – Attentate an Schulen gehören in Österreich glücklicherweise noch nicht zum Alltag. Umso mehr schockten im September an der Absamer Berufsschule für Bautechnik lebensbedrohende Messerstiche eines 19-Jährigen auf zwei seiner Mitschüler. Beide Schüler waren durch die Stiche so schwer verletzt worden, dass sie ohne umgehende Versorgung wohl verstorben wären.
Streit und Hänseleien in der Klasse waren wohl letzter Grund, aber nicht Auslöser der Tat, wie sich gestern am Landesgericht offenbarte. Dort war der so harmlos aussehende Unterländer vor einem Schwurgericht wegen zweifachen Mordversuchs angeklagt.
Das bisherige Leben des Maurerlehrlings präsentierte sich dabei als Trümmerhaufen. So skizzierte Staatsanwalt Florian Oberhofer eine Persönlichkeit, die nach normaler Kindheit zusehends zum verhaltensauffälligen Einzelgänger geworden war. Kein Freundeskreis, keine Freundin – dies hatte den Burschen bereits als 16-Jährigen zum Cannabiskonsum getrieben. Das Suchtgift verstärkte wohl weiter die Antriebslosigkeit des an sich intelligenten Schülers. So hatte er erst die HTL aus Desinteresse auf eigenen Wunsch abgebrochen. Dies wiederholte sich darauf bei einer Schlosserlehre. Auch die Maurerlehre verlief darauf holprig. In der Berufsschule war der 19-Jährige laut Ankläger Oberhofer wegen seines Cannabiskonsums während des Unterrichts eingenickt. Nach zwei Wochen bekam der 19-Jährige deshalb von einem Mitschüler einen Klaps auf den Hinterkopf. Diese Störung projizierte der Unterländer sofort auf einen ihm bereits verhassten Mitschüler. Der groß gewachsene 16-Jährige hatte dem oberlehrerhaften und sonst als „Klassenclown“ agierenden 19-Jährigen nämlich von Anfang an die Stirn geboten – oder ihn einfach ignoriert.
Eine Schmach für den älteren Schüler, der unter einer kombinierten Persönlichkeitsstörung leidet. So befundete die bekannte Psychiaterin Adelheid Kastner eine „schizoid-narzisstische Störung in Verbindung mit Cannabismissbrauch“. Diese Persönlichkeitsstörung beruhe laut Kastner auf einer „höhergradigen seelisch-geistigen Abnormität“. Gleichzeitig war der Bursche bei der Tat aber ansonsten zurechnungsfähig. Weder sei eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung vorgelegen, noch sei es in Verbindung mit dem Cannabiskonsum zu einer Realitätsverkennung gekommen.
Genau dazu hakte Verteidiger Mathias Kapferer in seinem halbstündigen Plädoyer gegenüber den Geschworenen ein. „Die Psychiaterin attestierte, dass meinem Mandanten jegliches Sensorium für soziale Realitäten fehlt und er extreme Probleme im Umgang mit Menschen hat. Er hat keine Strategien, um mit Menschen umzugehen.“ Laut RA Kapferer führte der 19-Jährige auch ein Messer mit, da er Angst vor seiner Umwelt hatte.
Der Angeklagte gestand gestern die Stiche zu und gestand ein, dass er seinem Widersacher „eine Lektion“ erteilen wollte. „Ich sah rot und wollte ihm aber eigentlich nur ins Auge stechen“, erzählte der 19-Jährige in der Klinik trotz Belehrung einem Polizisten. Im Prozess konnte der Schüler den Geschworenen aber nicht erklären, was er sich dabei gedacht hätte, was nach einem Messerstich ins Auge mit dem Opfer passieren würde. Ein Polizist äußerte als Zeuge jedoch Bedenken, ob der Schüler am Tattag „schon ganz da war“ und sein Handeln überhaupt verstanden hätte. Der Polizist: „Ich habe ja beruflich mit verhaltensauffälligen Personen öfters zu tun. Aber der Bursche hatte keine Scheu, anderen Patienten mehrfach zu erzählen, warum er denn jetzt unter Polizeibewachung in der Klinik sei.“
Mitschüler beschrieben die Situation in der Klasse am Tattag. „Brutal aggressiv“ sei der 19-Jährige gewesen. So aufgeregt, dass sich seine Stimme überschlagen habe. Dazu habe er dem späteren Opfer angekündigt, dass er den Burschen „vor seiner Mutter abstechen“ werde.
Ein Schüler schüttelte den Kopf: „Alles entwickelte sich aus einem Kindergartenstreit.“ Zu einer Versöhnung mit den beiden Opfern war es gestern im Saal nicht mehr gekommen. Am Freitag kommt es zur Gutachtenserörterung und wohl zum Urteil über die Umstände der Bluttat. Es gilt die Unschuldsvermutung.