Neues von Klaus Merz: Die Welt aus dem Kofferradio
In seinem neuen Gedichtband „firma“ denkt der Schweizer Lyriker Klaus Merz über das Nachhallen großer Erschütterungen im Kleinen nach. Heute präsentiert er ihn in Innsbruck.
Innsbruck –„Corporate Identity“ ist eine Begrifflichkeit aus Werbung und Öffentlichkeitsarbeit. Gemeint ist damit der auch optisch vereinheitlichte Auftritt eines Unternehmens, das mit der Zeit geht. Mitunter gelingt Firmen auch die Identifikation nach innen. Oder, präziser, sie gelang bisweilen. Die Fälle, in denen man am Anfang des Berufslebens in einen Betrieb eintrat und diesen mit der Pensionsberechtigung verließ, sind selten geworden. Und als Teil einer Familie fühlen sich Dienstnehmer wohl auch nur noch selten.
Die titelgebende Firma, der sich der große Schweizer Lyriker Klaus Merz in seinem jüngsten Buch widmet, darf man sich als solchen Betrieb vorstellen. Dass die gelebte „Corporate Identity“ – die so natürlich niemand so nennt – tatsächlich greift, zeigt sich schon im „Wir“, das über die gut fünf Jahrzehnte Firmengeschichte immer wieder das Wort ergreift. Ein durchaus gnädiges „Wir“, das den Angestellten manche Eigenart nachsieht. Selbst Beischlaf im Büro wird geduldet. Schließlich führt er bis zum Traualtar.
Mit „Aus der Firmengeschichte“ ist der erste Teil der Gedichtsammlung überschrieben. Und tatsächlich gemahnt er an eine – alles andere als erschöpfende – Betriebschronik. Am 20. Juli 1968 wird im sommerlichen Freibad unweit eines Friedhofes ein Mietvertrag unterfertigt: „Die Firma steht.“ Fünfzig Jahre später – am 24. Dezember 2018 – geht das Unternehmen bei einem Weihnachtsfest für die verbliebene Belegschaft den Weg alles Irdischen. Dazwischen: große und kleine Tragödien, Weltkatastrophen aus dem Kofferradio und alltägliche Widerstandsgesten am Rauchertisch in der Kantine. Vergängliches und scheinbar Ewigwährendes fasst Klaus Merz in feine Prosa-Verse. Er setzt trockene Pointen, in der bereits erwähnten Eheanbahnungsepisode zum Beispiel – und erlaubt sich leise Lakonie. Wenn etwa einer, Graber, der in manchem Eintrag eine Rolle spielt, acht Jahre nach Pensionsantritt zu Grabe getragen wird – und den Trauernden dafür ein halber freier Tag gestattet wird.
Ganz beiläufig erreicht der große Weltenlauf das Werken und Wirken in der kleinen Firma: Ein Medaillon erinnert an sowjetische Panzer in Prag, ein alle Abteilungen übergreifendes „public viewing“ endet mit einem weinenden Messi. Schon Mitte der 1990er-Jahre geistert „Kurzarbeit“ durch die Zeilen. Eine Logo-Neukonzeption später wird die betriebseigene Sauna inauguriert. Die taumelnde Weltwirtschaft um 2008 wird zum dunklen Vorboten. Noch zuckt die Firma. Zehn Jahre später ist sie hinüber.
Der zweite Teil des Buches – „Über den Zaun hinüber“ – wirkt wie ein lyrischer Kommentar zur Firmengeschichte. Merz vertieft die bereits angespielten Themen, die Vergänglichkeit, das Nachhallen großer Erschütterungen im Kleinen, in kristallklaren Miniaturen. Es ist die Präzision der Bilder, die Genauigkeit von Sprache gewordenen Gedanken, die Klaus Merz’ „firma“ zur erhellenden und ungemein berührenden Lektüre machen. Die Zeichnungen von Heinz Egger veredeln den Band zudem zum Kleinod. (jole)
Prosa/Gedichte Klaus Merz: firma. Mit Zeichnungen von Heinz Egger. Haymon, 135 S., 19,90 Euro. Lesung: Heute in der Buchhandlung Haymon. Beginn: 19 Uhr.