Verhaltensforschung am Homo sapiens: Erwin Uhrmanns Roman „Toko“
Wien (APA) - Von Steven Spielberg zu Michael Haneke - diese außergewöhnliche cineastische Reise kann man mit dem neuen Roman des Wiener Auto...
Wien (APA) - Von Steven Spielberg zu Michael Haneke - diese außergewöhnliche cineastische Reise kann man mit dem neuen Roman des Wiener Autors Erwin Uhrmann unternehmen. „Toko“ spielt in einem privat geführten Dinosaurierpark in der österreichischen Provinz und lässt zunächst an „Jurassic Park“ denken. Doch bald landet man in einem düsteren psychologischen Kammerspiel der „emotionalen Vergletscherung“.
„Toko“ legt in Werbung und Covergestaltung falsche (Saurier-)Fährten. Ein Dinosaurier auf dem Umschlag, ein „Dinosaurierpark, der ein Geheimnis birgt“, putzige Orientierungspläne auf den Einband-Innenseiten und ein Ortsname, der Bände spricht: „Willkommen in Irrlitz!“ Doch „Toko“ ist deutlich vielschichtiger, undurchsichtiger und elaborierter als man nach diesem ersten Eindruck glauben möchte. Wer das Buch in die Hand nimmt, bekommt nicht Action und auch nicht gute Unterhaltung geboten. Die Exkursion zu den Urzeitechsen konfrontiert vielmehr mit dem eigenartigen Verhalten einer Species, die noch immer nicht ausreichend erforscht ist, gleichzeitig aber mit großem Eifer an ihrem Aussterben arbeitet: der Homo sapiens.
„Toko“ ist voller Vieldeutigkeiten und Andeutungen. Das beginnt schon beim Titel. Toko - so heißt ein Hund, der die längste Zeit nur als eine Art Phantom durch das Buch geistert, der nur durch sein irritierendes Bellen, nicht aber durch seine leibhaftige Gestalt präsent ist. Toko ist aber auch der Spitzname von Theodor Schirm, des Inhabers des Saurierparks, der sich genauso rar macht. Der Leser macht mit ihm zunächst nur durch einen Einschub direkte Bekanntschaft, der in das Paris des Jahres 1968 führt. Dort war der Student Schirm auf Tuchfühlung mit Legenden wie Jean-Paul Sartre und Francois Truffaut. Der Film-Bezug ist, wie alles in diesem erstaunlichen Buch, sehr bewusst gesetzt. Tatsächlich entsteht, hat man sich erst eingelassen auf Uhrmanns fragmentarische Erzählweise, die vor allem im Kausalen und Logischen immer wieder Leerstellen lässt und statt auf stringente Figurenpsychologie auf Brüche und Fragwürdigkeiten setzt, ein Sog, von dem man sich gerne mitnehmen lässt.
Schon Uhrmanns Protagonist ist sich immer wieder selbst ein Rätsel. Der Literaturwissenschafter Erich hat sich auf Weltuntergangsszenarien spezialisiert und ist dabei auf das bereits seit langem andauernde Phänomen des Küstenschwunds in England gestoßen - ein von der Erosion vorangetriebener schleichender Brexit ins offene Meer, quasi. Im englischen Bath wird er in Kürze einen Lehrauftrag annehmen und kann endlich das ihm verhasste Wien hinter sich lassen. Seine Wohnung hat er bereits gekündigt, nur noch wenige Tage rund um den Jahreswechsel muss er in Österreich verbringen. Dazu hat er sich im Ferienhaus seiner besten Freunde in Irrlitz einquartiert. In klirrender Kälte läuft dort alles schief. Die Heizung friert ein, er legt es sich mit der eigentlich hilfsbereiten Nachbarin an, und plötzlich steht eine wildfremde Frau im Garten, die ihren entlaufenen Hund sucht. Sie ist die Betreiberin des Saurierparks, gleichzeitig Tokos Nichte und Tokos Frauchen.
Daniela Schirm ist keine wirklich umgängliche Person - aber das ist Erich auch nicht. Und das ist vielleicht auch der Grund, warum die beiden sehr speziellen, sehr eigenwilligen Persönlichkeiten einen Weg finden, auf dem sie einander näher kommen. Erich, der selbst dazu neigt, jedem eine andere Geschichte über sich zu erzählen, findet sich in einer seltsamen Welt wieder, in der auf einem weitläufigen Gelände riesige, lebensgroße Sauriermodelle gehegt und gepflegt werden. An Danielas Seite wird er zu einer Mischung aus Handwerker und Paläoveterinär und ist dabei seinem Spezialgebiet auf unvermutete Weise nahe. Das Sterben der Saurier macht zwar noch keinen Weltuntergang, aber dennoch wünscht sich der Literaturwissenschafter bald, er wäre nie nach Irrlitz gekommen. Denn am Ende materialisiert sich das ständig präsent gewesene Unbehagen doch noch. Wie „Toko“ zuletzt auch auf der herkömmliche Spannungsebene punktet, soll nicht verraten werden. Nur soviel: Beide Tokos tauchen auf. Am Ende ist man als Leser geschafft. Und freut sich schon jetzt auf: „Toko - Der Film“. Hoffentlich gibt es den eines Tages. Noch vor dem Weltuntergang.
(S E R V I C E - Erwin Uhrmann: „Toko“, Limbus Verlag, 220 Seiten, 18 Euro; Nächste Lesung: Morgen, Freitag, 26. April, 18 Uhr, in der bechter kastovsky galerie, Wien 1, Gluckgasse 3, http://www.erwinuhrmann.com/)