Felicitas Thun-Hohenstein: „Kunst für User, nicht Konsumenten“
In rund zwei Wochen öffnet die Kunstbiennale in Venedig ihre Pforten. Felicitas Thun-Hohenstein, die diesjährige Kuratorin des österreichischen Pavillons, über alte Formate und neue Formen der Vermittlung.
Ihr Konzept für den Österreich-Pavillon sah die erste Soloshow für eine Künstlerin vor. Warum Renate Bertlmann?
Felicitas Thun-Hohenstein: Schon etliche Jahre stand die Forderung nach einer Solokünstlerin im Raum, viele Kolleginnen haben sich dafür eingesetzt. Mit Renate Bertlmann zu arbeiten, war von Anfang an eine klare Entscheidung. Sie ist genau die Künstlerin, die wir jetzt brauchen. Sie ist die beste Antwort auf eine politisch schwierige Gegenwart.
Welches Thema hat Sie bei Bertlmann am meisten gereizt?
Thun-Hohenstein: Ihr dichtes Oeuvre hat sowohl ästhetisch als auch konzeptuell einen verführerischen und widersprüchlichen Aspekt. Mich interessieren ihre vielfältigen künstlerischen Verfahrensweisen, die pendeln zwischen performativer Arbeit und einem klassischen Kanon von Objekten, früher Malerei sowie Video, Fotografie, Zeichnung und Text. Als Kuratorin interessiert mich ein Blick, der in Bewegung bleibt. Bertlmanns künstlerisches Forschen zielt auf Transformation ab, eigentlich das einzig Beständige in ihrem Oeuvre. Gesellschaftliche Symbole, Zeichen und Sprache werden entleert, umdekliniert und neu befüllt. Das möchte ich zeigen.
Oftmals wird der Ausdruck „Ästhetik des Riskanten“ verwendet. Können Sie das erklären?
Thun-Hohenstein: Bertlmanns Arbeiten nehmen uns mit starken ästhetischen, bisweilen plakativen, ironischen Bildern ein, um im nächsten Augenblick durch minimale ästhetische Eingriffe unsere Wahrnehmung zu destabilisieren und neue Lesarten herauszufordern. Dieser eine Moment, wo das konzeptuell Interessante und das ästhetisch Brisante in den Werken aufeinandertreffen, ist für mich einer der wirksamsten, den die Kunst zu bieten hat.
Bertlmanns Arbeiten sind stark feministisch gefärbt. Erfährt diese Sichtweise heute eine Neuinterpretation?
Thun-Hohenstein: Bertlmanns Werk von über fünfzig Jahren hat in seiner Bandbreite auch aus feministischer Sicht zahllose Möglichkeiten der Auseinandersetzung. Da gibt es noch viel zu tun. Sehr viele Künstlerinnen jüngerer Generation sind große Fans von Bertlmann, was zeigt, wie aktuell ihre Fragestellungen sind. Was sie bis heute so modern macht: Sie hat zu einem relativ frühen Zeitpunkt nicht nur feministische Fragestellungen durchdekliniert, sondern auch queer-feministische Inhalte einfließen lassen. Denken wir an die prothetischen Körpererweiterungen in ihren Performances. Sie nimmt in diesen Arbeiten der frühen Achtziger einen Diskurs vorweg, der eigentlich erst Ende der Neunziger sichtbar und aktuell wurde.
Deutschland setzte in seinem Pavillon mit Anne Imhof oder heuer Natascha Sadr Haghighian schon früher auf – außerdem jüngere – Künstlerinnen. Sind die Deutschen risikofreudiger?
Thun-Hohenstein: Zweifelsfrei sind sie das. Aber das ist auch darauf zurückzuführen, dass Deutschland schon früher Künstlerinnen ein Podium gewährte. Mit Künstlern wie Christoph Schlingensief wähnte man sich außerdem in einer gewissen Tradition für das Performative. Ich bin davon überzeugt, dass Renate Bertlmann heuer auch den Österreichischen Pavillon in seiner Wahrnehmung in Bewegung bringen wird. Ihr klares Statement wird nachhaltig sein und bildet die bestmögliche Grundlage, dafür den Pavillon zukünftig neu und im Sinne von Vielfalt zu denken.
Wird die neu realisierte Arbeit auch Bezug nehmen auf das architektonische Umfeld?
Thun-Hohenstein: Ich würde Bertlmanns Werk eher als Kommentar zum Pavillon sehen. Die Architektur wird nicht berührt, aber die Arbeit steht im Verhältnis dazu. Mit einer ihr typischen ironischen Geste wird dem Pavillon ein Stück weit Autorität genommen. Man könnte sagen, er wird leichterhand umgeschrieben.
Was darf über die neue Arbeit noch verraten werden?
Thun-Hohenstein: Es wird eine dreiteilige neue Installation zu sehen sein, mit der sie dem Pavillon eine neue Signatur verleihen wird. Vor allem wird das Werk auch einen Kommentar zur langen, schwierigen Geschichte der Giardini abgeben. Die Arbeit wird auf die Ambivalenzen unserer Existenz und die Grundspannungen unseres gesellschaftlichen Systems eingehen: analog vs. digital, Liebe vs. Hass, Geburt vs. Tod.
Der Ausstellungsort Giardini ist nach wie vor streng nach Nationen getrennt – ist das noch zeitgemäß?
Thun-Hohenstein: Die 120-jährige Geschichte der Giardini ist eine hochpolitische, bei der Auslassungen und Ausgrenzungen ständige Begleiter waren und sind. Ein Kanon entstand, was wird gezeigt und was nicht. Es gilt zu überlegen, wie man auf eine Gegenwart mit immer stärker werdenden nationalen Ideologien und populistischem Sprachgebrauch reagieren kann. Ich habe gemeinsam mit Andreas Spiegl dazu die Biennale Lectures initiiert, eine Gesprächsreihe in Zusammenarbeit mit der Akademie der bildenden Künste. In der ersten Lecture diskutierten wir auch schon über das Verhältnis von Kunst zum nationalkulturellen Anspruch. Symbolisch verortet fand die Diskussion im Planetarium in Wien statt, sozusagen einem Ort ohne Grenzen.
Wie funktioniert Vermittlung heute?
Thun-Hohenstein: Für die Biennale war mir wichtig, den Weg nach Venedig und den Produktionsprozess backstage transparent zu machen. Unsere Seite biennalearte.at ist in diesem Sinn ein wachsendes Archiv, auf der die gesamte Vorbereitungszeit sowie alle Aktivitäten während der Biennale bis hin zur Aufstellung von Bertlmanns Arbeit im Oberen Belvedere (ab Anfang 2020, Anmerkung) begleitet werden. Eine Publikation mit 600 Seiten wird eine Erweiterung der Ausstellung darstellen. Wir haben uns viel vorgenommen.
Braucht die zeitgenössische Kunst so viel Engagement?
Thun-Hohenstein: Umfangreiche Vermittlung ist mir ein großes Anliegen, das habe ich in zwanzig Jahren Unterricht, u.a. an der Akademie, gelernt. Wir sind herausgefordert, ständig mitzudenken, ob herkömmliche Formate wie Vortrag oder Workshop noch funktionieren. Das gilt gerade auch hinsichtlich einer jüngeren Generation, die wir in einer digitalen Gegenwart nicht als Konsumenten, sondern als User ansprechen müssen. Um dem Wunsch der Teilhabe zu erfüllen, ist es wichtig, so viele Sprachen wie möglich zu entwickeln, um Kunst für die Gesellschaft produktiv zu machen.
Haben wir das klassische Ausstellungsformat einer Biennale in Hinsicht auf diese neuen Bedingungen nicht eigentlich schon überlebt?
Thun-Hohenstein: Das Konzept an sich ist natürlich anachronistisch. Was ich wichtig finde, ist die Entwicklung über die Giardini hinaus. Die Biennale ist heute in ganz Venedig präsent. Dieser Diskurs des Dazwischen, was wird gezeigt und wer ist nicht dabei, löst immer auch eine geopolitische Diskussion aus. Die Biennale ist also in Bewegung und bleibt deshalb spannend. Die Biennalekuratoren, wie heuer Ralph Rugoff, sind auch immer wieder darauf bedacht, das Format neuzudenken. Auch ich habe das versucht. Und ich weiß, Renate Bertlmann wird alle überraschen.
Das Gespräch führte Barbara Unterthurner