„Inland“ - Ulli Gladik: „Solidarität existiert nicht mehr“
Wien (APA) - Filmemacherin Ulli Gladik hat für „Inland“ drei rechte Wähler in Wien vor und nach der vergangenen Nationalratswahl begleitet. ...
Wien (APA) - Filmemacherin Ulli Gladik hat für „Inland“ drei rechte Wähler in Wien vor und nach der vergangenen Nationalratswahl begleitet. Entstanden sind Porträts dreier Persönlichkeiten, die ein Zeitbild des heutigen Österreichs zeichnen. Mit der APA sprach die 48-Jährige über Gemeinsamkeiten mit ihren Protagonisten, ihren Lernprozess und was sie von Elizabeth T. Spira unterscheidet.
APA: Was war für Sie der persönliche Ausgangspunkt zu „Inland“?
Ulli Gladik: Ich habe 2015 für den „Augustin“ eine Reportage gemacht, für die ich in Wien den Sprengel mit den meisten Grün-Stimmen und den mit den meisten FPÖ-Wählern und -Wählerinnen besucht habe. Ich habe dabei sehr viel Zeit in Simmering verbracht und fand die Gespräche mit den Menschen dort extrem spannend. Schließlich hat sich ja schon bei der Wien-Wahl die Spaltung der Lager abgezeichnet, was dann bei der Bundespräsidentenwahl weiterging. Und diese Polarisierung hat mich wahnsinnig aufgeregt! Wo führt das hin? Wir sind alle Menschen mit ähnlichen Grundbedürfnissen. Und stattdessen schlägt man sich die Köpfe ein und bauscht das Thema Migration auf.
APA: Dennoch wollten Sie in Ihrem Film nicht beide Lager zeigen, sondern lediglich die rechte Reichshälfte?
Gladik: Das andere Lager kenne ich als Filmemacherin aus dem linken Milieu ohnedies besser. Mich hat vor allem interessiert, was hinter diesem vermeintlichen Überthema „Flüchtlinge“ steckt. In der ersten halben Stunde der Gespräche ging es dann auch immer um diesen Punkt, meist mit den Schlagzeilen der Sozialen Medien. Erst danach konnten wir anderes besprechen.
APA: Nach welchen Kriterien haben Sie Ihre drei Protagonisten ausgesucht?
Gladik: Es war schon ein langer Prozess und sehr nervenaufreibend. Es muss schließlich eine Sympathie geben zwischen meinem Gegenüber und mir. Sonst tue ich mir schwer beim Dreh. Wenn Leute zu sehr im rechten Lager gesteckt sind, habe ich schon bei der Vorbereitung Albträume bekommen.
APA: War für das Projekt Elizabeth T. Spira mit ihren „Alltagsgeschichten“ ein Vorbild?
Gladik: Ich mag sie sehr. Aber ich habe mich doch abgegrenzt. Ich wollte mehr auf Augenhöhe mit den Menschen sprechen, auch wenn ihre Arbeiten immer wieder in die Tiefe gehen. Mir war - auch von der Kameraführung her - die Nähe zu meinen Protagonisten wichtig. Spiras Arbeiten sind bisweilen auch sehr entblößend. Das wollte ich nicht.
APA: Sie bringen sich als Interviewerin eher spät in den Film ein...
Gladik: Das hat sich natürlich ergeben, denn beim ersten Drehtag ist man noch vorsichtiger, geht nicht so ran. Wenn man vertrauter ist, ändert sich das. Mein Lernprozess war zuzuhören, nicht dagegen zu argumentieren, nachzufragen, damit es sich nicht hochschaukelt.
APA: Hat sich Ihre Sicht auf Ihre Gesprächspartner über den Dreh hinweg verändert?
Gladik: Ich habe viele Gemeinsamkeiten festgestellt. Jeder will Wertschätzung, einigermaßen gut entlohnt werden und eine gewisse Sicherheit. Das sind letztlich banale Dinge, die aber alle Menschen wollen.
APA: Zeichnet „Inland“ für Sie ein allgemeines Bild des Österreichs im Jahr 2019?
Gladik: Ich weiß nicht, ob man es „Zeitbild“ nennen kann. Ich hätte gerne unterschiedlichere Menschen gezeigt, etwa eine Studentin, die mir dann abgesprungen ist. Ich wollte immer jemanden finden, der einen bürgerlicheren Hintergrund hat. Aber am Ende wollte niemand vor die Kamera gehen. Für mich ist es schon ein Film über das Rote Wien und die Gesellschaft, die viele verunsichert.
APA: Was ist der Grund für die Verunsicherung?
Gladik: Viele haben gemeint, dass sie zwar über das Thema „Ausländer“ reden wollen, aber nicht über die Arbeitsverhältnisse, aus Angst den Job zu verlieren. Seit den 1980ern gibt es das durchgängige Narrativ, dass man sich den Sozialstaat und die Pensionen nicht mehr leisten kann. Und das löst bei den Menschen einfach konkrete Ängste aus. So etwas wie Solidarität existiert nicht mehr - aber das ist das kapitalistische Gesellschaftssystem, in dem jeder für sich kämpfen muss. Mein neues Projekt soll sich deshalb auch eher mit der Frage der Arbeitsbedingungen beschäftigen. Wie sieht die menschliche Arbeit im Jahr 2020 aus?
APA: Weshalb ist vor allem die FPÖ so erfolgreich, die Menschen in dieser Situation abzuholen?
Gladik: Die FPÖ schafft es, die Sprache der Menschen zu sprechen. Es gibt seit vielen Jahren das System des Nach-unten-Tretens. Die Devise ist: Nicht nach oben schauen und nicht fragen, ob es eine Steuergerechtigkeit gibt und die Löhne sich massiv auseinanderentwickelt haben. Es gibt Österreicher, die gegen Ausländer sind, und es gibt Österreicher, die gegen die Österreicher sind, die gegen Ausländer sind. So kämpfen alle gegeneinander statt gemeinsam für gerechte Löhne.
(Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA)