Eine Zelt-Welt in Bewegung
Artistische Illusionsmaschine: Der Bilder- und Bewegungsdenker Herbert Fritsch eröffnet auf der Bühne des Burgtheaters einen glitzernden Campingplatz.
Von Bernadette Lietzow
Wien –Grün ist die Hoffnung, ins Grüne hofft sich die Putzkolonne, als Lohn für die Schufterei. Vorab muss sich die Truppe mit dem Grasgrün ihrer Arbeitsmäntel begnügen, dem Mohnrot ihrer Putzkübel und dem Margaritenweiß ihrer Wischlappen. Grelle Stille herrscht, wenn die einzelnen Figuren den glänzenden Bühnenboden mit ihren Fegern bearbeiten, Töne entstehen nur durch das Auswringen der Wischtücher, das Abstellen der Kübel oder das Schnalzen der Gummihandschuhe.
Eine Lichtänderung, ein Schattenspiel später, wähnt man sich in einer Kalvarienbergszene, wenn die in die Höhe gehaltenen Besen an Kreuze erinnernde Schemen auf die hintere Bühnenwand werfen. Atemlos schauen, staunen, lachen und denken, und schon steckt die grüne Schar vor roter Sonne die Köpfe in die Eimer und erzeugt tiefe Klagelaute.
Willkommen im Fritsch-Kosmos! Als letzte Burgtheaterinszenierung der Ära Bergmann zündet der Berliner Regisseur und Schauspieler Herbert Fritsch mit seinem Projekt „Zelt“ ein Feuerwerk der besonderen Art. Verzichtet er, der in seinen Arbeiten gleichsam den Körper als Sprache erkundet, doch diesmal vollkommen auf Text und setzt auf scheinbar zufällige Laute, Mimik und nicht zuletzt eine atemberaubende Bewegungs-Choreographie. Verstärker und Begleiter am Rand des Bühnengeschehens ist der Clown mit Elektro-Geige in Gestalt des Musikers Matthias Jakisic.
Der erste Gast auf dem Campingplatz der Illusionen ist der wunderbare Hermann Scheidleder, der einem Zirkusartisten gleich sein braunes Zelt aufbaut, es einmal vor seinen fülligen Körper hält und plötzlich eine Riesen-Motte zu sein scheint. Ist die Arbeit getan, entsteigt seinem Zelt all das Putzpersonal, das es endlich in die Natur geschafft hat. Es wäre nicht Fritsch, der offensichtliche Rokoko-Aficionado, würde nicht deren Garderobe allein – Puffärmel-Minidirndl und kunstvollste Perücken, schrägste Trachtenanzüge, orange Hemden darunter – für Furore sorgen. Ein Hoch auf Kostümbildnerin Bettina Helmi.
Petra Morzé, Stefanie Dvorak und Ruth Brauer-Kvam, Sebastian Wendelin, Markus Meyer, Michael Masula und die fulminanten Kollegen des 24-köpfigen Ensembles liefern in der Folge ein virtuoses Zeltstangen-Ballett, in dem die bunten Planen einmal zur Burka, einmal zum Schleier geraten, bevor sie die Zelte wie bunte Blüten in die Luft halten. Das abendliche Lagerfeuervergnügen schließlich mündet, mit kakophonischem Einsatz von Gitarren und Ziehharmonikas, in einem allumfassend mitreißenden Irrsinn mit theatralem Seltenheitswert.
Friedrich Rom taucht die Szenerie in immer neue Lichtstimmungen, Licht leuchtet zeitweilig auch in den bunten Zelten. Gegen Ende der begeisternden hundert Minuten wachsen die Köpfe der Darsteller aus dem Bühnenboden – leichenblass und mit weißem Zaushaar erwecken sie Assoziationen zu Opfern der Französischen Revolution, während über ihnen die bunten Zelte wie Montgolfier-Ballons schweben.
Stille, bevor der Vorhang fällt – und der Jubel des Publikums diese grandiose Uraufführung feiert. Ein Fest ist dann auch die Applausordnung, wenn Regisseur Fritsch im Dirndl vom Schnürboden herabgleitet und die Schauspieler ebenso erschöpft wie lustvoll noch einmal zu allerlei Faxen ausholen.