Venedig im Sturm-Tief: Der neue Roman von Gerhard Roth enttäuscht
Wien (APA) - Mit seinen Zyklen „Archive des Schweigens“ und „Orkus“ hat Gerhard Roth heimische Literaturgeschichte geschrieben. Auch sein Ve...
Wien (APA) - Mit seinen Zyklen „Archive des Schweigens“ und „Orkus“ hat Gerhard Roth heimische Literaturgeschichte geschrieben. Auch sein Venedig-Zyklus hat vor zwei Jahren vielversprechend begonnen. Doch alles, was in „Die Irrfahrt des Michael Aldrian“ aufgegangen war, scheint in „Die Hölle ist leer - die Teufel sind alle hier“ zu misslingen. Der Mittelteil des geplanten Dreiteilers enttäuscht.
Im Auftakt-Roman gelang es dem Autor souverän, dem x-fach beschriebenen literarischen Schauplatz Neues abzugewinnen: In opulenten Bildern und zahlreichen Abschweifungen entstand entlang einer geschickt entwickelten Kriminalstory eine dichte Atmosphäre, in die Roth eindrucksvolle Kenntnisse der Lagunenstadt und ihrer reichen Geschichte einfließen ließ, ohne besserwisserisch zu wirken. Offenbar kein universales Erfolgsrezept - denn dasselbe Prinzip wirkt diesmal bemüht und vorhersehbar.
Das liegt zu nicht geringem Teil an dem neuen Protagonisten. Hatte der ehemalige Opern-Souffleur Michael Aldrian mit seinem Plan, einen ganz speziellen Venedig-Reiseführer zu schreiben, einen guten Grund, durch die Stadt zu wandern und ungewöhnliche Schauplätze aufzusuchen, sucht nun der auf dem Lido lebende Übersetzer Emil Lanz vorerst lediglich einen idealen Ort für seinen geplanten Selbstmord. Dass der an sich harmlose Mann, der dabei ist, seine Übersetzung von „Gullivers Reisen“ vom Englischen ins Italienische abzuschließen, gleich über zwei Pistolen verfügt, im Laufe der Geschichte in den Besitz von zwei weiteren kommt und mit Schusswaffen der Marken Walther, Glock und Beretta gleichermaßen glänzend umzugehen weiß, ist eine von vielen Unplausibilitäten, mit denen sich der Leser arrangieren muss; dass Lanz in der an sich ja nicht eben menschenleeren Stadt ständig denselben Menschen begegnet und damit die Handlung am Laufen gehalten wird, eine andere.
Lanz ist bei der Wahl seines Sterbeortes reichlich kapriziös, immer findet sich ein Grund, die Lokalität zu wechseln und das Ende hinauszuzögern. Auf Torcello trinkt er zu seiner Henkersmahlzeit gleich drei Flaschen Rotwein, doch als er sich die Pistole ans Herz setzt, wird er wieder gestört. Statt zum Selbstmörder wird er zum Zeugen eines Mordes - und begegnet in der Folge einer anziehenden Fotografin wieder, mit der er bereits am Lido geflirtet hatte, und die offenbar in das Verbrechen verwickelt ist. Es ist der Beginn einer Krimihandlung, in der zwei Schlepperbanden einander bekriegen und Lanz bald vom Zeugen zum Mittäter wird. Denn so unschlüssig Lanz zuvor bei seiner Entscheidung, seinem Leben ein Ende zu setzen, war, so gespalten ist er jetzt bei der Frage, sich an die Polizei zu wenden.
Mehr als einmal stellt Lanz in der Folge verblüfft fest, wie wenig die turbulenten Ereignisse zu seiner vorangegangenen Lebensmüdigkeit passen. Stattdessen wird er zum Frauenhelden, dessen Charme nicht nur die Fotografin erliegt, und bewährt sich in James-Bond-artigen Schusswechseln und Verfolgungsjagden. War das reales Leben, Traum oder ein Schwebezustand zwischen Tod und Leben nach einem nur halb gelungenem Selbstmordversuch? „Er war in einen Irrgarten hineingeboren worden, dachte er, aus dem er sein gesamtes Leben vergeblich einen Ausgang suchte. Das Labyrinth war sein eigenes Gehirn, in dem er zwangsweise herumirrte.“ Tiefere Einblicke gewährt Roth allerdings nicht, denn so detailreich er auch diesmal in den Beschreibungen alltäglicher Ereignisse oder historischer wie geografischer Fakten ist, so distanziert und nüchtern verhält er sich neuerlich bei der Psychologie seiner Figuren.
„Die Hölle ist leer - die Teufel sind alle hier“ führt einen in Paradiesgärtlein und auf Teufelsbrücken, durch das bekannte und das unbekannte Venedig und dessen Umgebung, auf kleine Inseln und in verlassene Gebäude. Die Rastlosigkeit der Ortswechsel kontrastiert dabei mit der Fülle an gebotenen Hintergrundinformationen. Es gibt geheimnisvolle Nebenfiguren wie einen Milliardär, der Lanz einen Übersetzungsauftrag für Shakespeares gesamte Stücke besorgt, einen Falkner auf Möwen-Jagd, einen unfähigen und aufbrausenden Commissario und ein totes Flüchtlingsmädchen. Es gibt einen kleinen Drogenrausch und ausdauernde Liebesnächte, deren Beschreibung nicht zu den Stärken des Buches zählt. Und es gibt einen veritablen Tornado, der eine Spur der Verwüstung durch Venedig zieht. Lanz kommt bei alldem heil davon. Das erste Shakespeare-Stück, das er übersetzen wird, soll ausgerechnet „Der Sturm“ sein. Und von dort hat sich Roth auch sein Titel-Zitat geholt. Aus der Beschreibung eines Schiffbruches.
(S E R V I C E - Gerhard Roth: „Die Hölle ist leer - die Teufel sind alle hier“, S. Fischer Verlag, 368 Seiten, 25,70 Euro)