Coole Sache: „Das Leben des Vernon Subutex“ im Schauspielhaus Wien
Wien (APA) - Am Ende geht es sich dann doch nicht ganz aus. Das Beste am vierstündigen Abend „Das Leben des Vernon Subutex 1+2“ im Wiener Sc...
Wien (APA) - Am Ende geht es sich dann doch nicht ganz aus. Das Beste am vierstündigen Abend „Das Leben des Vernon Subutex 1+2“ im Wiener Schauspielhaus sind die ersten eineinhalb Stunden. Da werden die vielen Hauptfiguren der Romane von Virginie Despentes eingeführt und ihre Geschichten miteinander verknüpft. Wenn die Story Fahrt aufnehmen sollte, hebt sie jedoch nicht ab. Trotzdem insgesamt eine coole Sache.
Despentes‘ Roman-Trilogie war in Frankreich ein (mittlerweile auch als TV-Serie verfilmtes) Ereignis. Im Zentrum steht der ehemalige Plattenverkäufer Vernon Subutex, den die Paradigmenwechsel der Musikindustrie aus der Bahn werfen. Er landet als Obdachloser auf der Straße und schart in weiterer Folge dank seines Charismas und seiner DJ-Künste eine große Fangemeinde um sich. Rund um ihn hat die 49-jährige Despentes, die mit ihrer eigenen Verfilmung ihres Debütromans „Baise-moi“ berühmt-berüchtigt wurde und heute als Mitglied der Académie Goncourt bereits als weiblicher Balzac gefeiert wird, ein figurenreiches Panorama der zerrissenen französischen Gegenwartsgesellschaft arrangiert.
Schauspielhaus-Leiter Tomas Schweigen und Dramaturg Tobias Schuster haben das Kunststück geschafft, die Protagonisten des Romans so konzise zusammenzufassen, dass sie dem Zuschauer recht bald vertraut werden. Dazu dient eine geschickte Abfolge von gefilmten Sequenzen sowie Spielszenen, Mono- und Dialogen auf einer kleinen Rasenfläche mit Blick auf die Stadt.
Das Schauspielhaus-Ensemble zeigt sich in Hochform. Jesse Inman schafft als Vernon gleich mehrfach die Verwandlung vom Sandler zum Charmeur und Szene-Hero und wieder zurück. Sebastian Schindegger überzeugt als lästig-linkischer Drehbuchautor, der verzweifelt versucht, Anschluss an einen vor 20 Jahren gefeierten Erfolg zu finden und nach Rechts abgedriftet ist, wo schon Steffen Link (der auch einen koksenden Trader gibt) als ausländerfeindlicher Schläger Loic auf ihn wartet - mit Stiefeln, deren Tritte ihn ins Koma versetzen.
„Auf der anderen Seite der Barrikade“ steht der alt-linke Ex-Musiker Patrice. Gewalttätig ist auch er - allerdings gegen seine jeweiligen Partnerinnen. Dass Simon Bauer nicht nur Patrice, sondern auch den buchstäblich über Leichen gehenden widerlichen Filmproduzenten Dopalet glaubwürdig verkörpert, zeigt die Qualität der Darsteller, zu denen mit Vera von Gunten (u.a. als Ex-Bassistin Emilie), Anna Rot (als Ex-Groupie und als professionelle Cyper-Mobberin namens Hyäne) und Clara Liepsch (als süße Kellnerin und behäbige Obdachlose besonders wandlungsfähig) starke Frauenfiguren kommen.
Als mit ein paar etwas ausufernden Monologen die Sache an Schwung verliert, fällt das Projektionstuch und gibt den Blick auf ein dahinterliegendes Musik-Lokal frei, in das man als Zuschauer eingeladen wird. Die Party beginnt - und wird gleich fürs Essen unterbrochen. Wer mehr gezahlt hat, wird zum Dinner bei Drehbuchautor Xavier eingeladen (und erhält im neu übernommenen „Nachbarhaus“ ein Drei-Gänge-Menü von „silent cook“ Patrick Müller serviert), der Rest begibt sich mit Vernon Subutex auf die Straße und Richtung Suppenküche.
Mit gefüllten Mägen treffen die Zuschauergruppen wieder aufeinander. In der Bar „Rosa Bonheur“ haben sich unterdessen die Freunde zu einem Subutex-Suchtrupp formiert. Denn nicht nur der abgedriftete Ex-Plattenladen-Chef, sondern auch jene drei Videokassetten sind verschwunden, die ihm der tote Sänger Alex Bleach als Vermächtnis hinterlassen hat. Sie sind für Szene und Presse begehrter, harter Stoff, für Dopalet dagegen eine Bedrohung.
Dass man diese Geschichte nicht in all ihren Verästelungen mitbekommt, ist weniger schlimm als der Umstand, dass Subutex‘ Wiederauftauchen und seine Wandlung zum umschwärmten Musik-Guru nicht schlüssig wird. Mitverantwortlich dafür ist auch die Musik-Spur (Jacob Suske), die der zentralen Behauptung des zweiten Bandes keine sinnliche Entsprechung gibt: Subutex entwirft mit genialem Gespür Playlisten, die für ekstatische Gemeinschaftserlebnisse sorgen und seinen Ruhm und seine Anhängerschaft rasant mehren. Im Schauspielhaus gibt dagegen ein kleines Fest mit bunt leuchtenden Bändern nur eine müde Ahnung jener „Convergences“ genannten Rave-Partys, die Band drei der Trilogie beherrschen. Den überspringt man im Theater und endet dennoch mit dem weit in die Zukunft weisenden Epilog, der ohne die im Roman beschriebene Massenhysterie und ihr apokalyptisches Ende allerdings unverständlich bleibt.
Trotz dieser Einwände lohnt sich der Besuch in jedem Fall. Den perfekten Abend gibt es wohl nur im Anspruch, nicht in der Praxis. Eine bittere Erkenntnis, die für das Leben wie für das Theater gleichermaßen gilt. Mit oder ohne Rave-Party.
(S E R V I C E - „Das Leben des Vernon Subutex 1+2“ nach den Romanen von Virginie Despentes, Deutsch von Claudia Steinitz, in einer Bühnenfassung von Tomas Schweigen & Tobias Schuster, Regie: Tomas Schweigen, Bühne: Stephan Weber, Kostüme: Anne Buffetrille, Musik: Jacob Suske, Film: Nina Kusturica, Michael Schindegger. Mit Simon Bauer, Vera von Gunten, Jesse Inman, Clara Liepsch, Steffen Link, Anna Rot, Sebastian Schindegger, Jacob Suske. Zusätzliche Film-Besetzung: Mona Abdel Baky, Ayo Aloba, Nils Arztmann, Sophia Löffler, Vassilissa Reznikoff, Lukas Samuel, Martina Spitzer. Österreichische Erstaufführung im Schauspielhaus Wien. Nächste Vorstellungen: 30.4., 2., 3., 4., 7.-11.5., Karten: 01 / 3170101-18, www.schauspielhaus.at)
(B I L D A V I S O – Pressebilder stehen im Pressebereich von www.schauspielhaus.at zum Download bereit.)