Parlamentswahlen

Spanien: Nach Parlamentswahl droht monatelanges Patt

Sozialisten-Chef Pedro Sánchez
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Die viertgrößte Wirtschaft der Eurozone droht nach 2016 erneut in die Sackgasse zu geraten. Kataloniens Separatisten könnten am Sonntag erneut entscheidend für die Regierungsstabilität werden.

Lange Zeit waren Rechtspopulisten auf der politischen Landkarte Spaniens nicht vertreten. Das änderte sich im Dezember bei den Regionalwahlen in Andalusien. Die rechtsextreme Partei Vox zog mit elf Prozent der Stimmen in das Regionalparlament ein. Seither mischt sie die spanische Politik kräftig auf. Bei der Parlamentswahl am Sonntag will Vox nun auch ins Parlament im Madrid einziehen.

Vox -Parteichef Santiago Abascal
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Zwar bedienen die spanischen Rechtspopulisten wie ihre Gesinnungsgenossen in anderen europäischen Ländern auch die anderen üblichen Feindbilder: Sie stellen sich gegen Geschlechtergleichheit und Feminismus, sind gegen Abtreibung und die Homoehe und schüren Ängste vor Einwanderern. Aber in Spanienhat Vox ein Lieblingsthema: die Einheit und Identität des Landes.

Mediale Klaviatur

Die Rechtsradikalen spielen dabei geschickt auf der medialen Klaviatur. Die traditionellen Medien meiden sie, oder sie werden von diesen gemieden. Erst kürzlich wurden Vox-Politiker von einer wichtigen Fernsehdebatte ausgeschlossen. Die zentrale Wahlkommission hatte zur Begründung darauf verwiesen, dass die Rechtsradikalen bei den letzten Parlamentswahlen 2016 nur 0,1 Prozent der Stimmen und kein Abgeordnetenmandat gewonnen hätten.

Ciudadanos-Chef Albert Rivera
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In den Online-Netzwerken sind sie dafür umso stärker. Parteichef Santiago Abascal orientiert sich mit seiner Kampagne an denen von US-Präsident Donald Trump und Brasiliens Staatschef Jair Bolsonaro. Außerdem nutzt Vox jede andere Bühne, die sich ihr bietet: Eine besondere bietet der Prozess gegen die Anführer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung.

Gerichtsverfahren als „Bühne"

Für Vox eine einzigartige Gelegenheit, bei dem live im Fernsehen übertragenen Verfahren ihre rechtsextreme Ideologie zu verbreiten und sich als Hüterin der spanischen Identität zu präsentieren. So nimmt Vox ständig weit härtere Positionen ein als die Staatsanwaltschaft.

PP-Chef Pablo Casado
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Die Rechtsextremen zielen aber nicht nur auf eine konservative Klientel, sondern auf Unzufriedene aller Couleur. Auch im Visier sind enttäuschte Linke, hart arbeitende Geringverdiener oder auch Arbeitslose.

Rechts gegen Rechts

Was dem favorisierten Pedro Sánchez allerdings helfen könnte, ist ein diese Woche ausgebrochener Streit zwischen der konservativen Volkspartei PP und der liberalen Ciudadanos.

PP-Mann Pablo Casado und Ciudadanos-Chef Albert Rivera ließen während einer TV-Debatte vor einem Millionenpublikum in ihren Attacken gegen Sánchez plötzlich nach begannen sich gegenseitig mit Vorwürfen zu überhäufen. Rivera erinnerte an die vielen Korruptionsaffären in der PP, die im vorigen Juni zum Sturz des Konservativen Mariano Rajoy per Misstrauensvotum und zur Machtübernahme von Sánchez geführt hatten. Casado konterte und stellte Rivera als Politiker hin, der sein Fähnchen nach dem Wind drehe und fähig sei, auch mit den Linken eine Koalition zu bilden.

Kampf gegen Sánchez "bereits verloren"

Nach der Debatte warb Ciudadanos in einer unerwarteten Aktion den Madrider PP-Chef Ángel Garrido ab. Vom Parteiwechsel erfuhr Casado aus den Medien. Sánchez versuchte sofort, Profit zu schlagen. "Die Rechten können sich nicht einmal untereinander über den Weg trauen. Wie sollen die Wähler ihnen vertrauen?", sagte er.

Und Sánchez verkörpert nicht nur die Hoffnung der spanischen Sozialisten. Die linke Protestpartei Podemos hofft, schon fünf Jahre nach der Gründung als Koalitionspartner der PSOE erstmals Regierungsverantwortung übernehmen zu dürfen. Der einst streitbare Podemos-Chef Pablo Iglesias präsentierte sich bei den Debatten sehr zurückhaltend und als "höflichster" Teilnehmer. Er bot sich Sánchez vor den TV-Kameras mehrfach als zuverlässiger Partner an.

Hoffnung für Europa?

Aber auch außerhalb Spaniens setzen viele, die nicht unbedingt mit sozialistischem Gedankengut sympathisieren, auf Sánchez. Die Londoner Wochenzeitschrift "The Economist" rief die Spanier dazu auf, den Sozialisten in der viertgrößten Volkswirtschaft der Eurozone am Sonntag mit einer regierungsfähigen Mehrheit auszustatten. "Noch mehr politischer Stillstand würde Spanien nicht gut bekommen."

Gefürchtet wird eine Wiederauflage der "Blockade" von 2016. Nach Ende des faktischen Zweiparteiensystems aus PP/PSOE und der Zersplitterung der Stimmen war Spanien damals trotz zweier Wahlgänge innerhalb von sechs Monaten fast ein Jahr lang ohne reguläre Regierung geblieben. Anschließend hielt die schwache Rajoy-Regierung nur gut eineinhalb Jahre. Die Minderheitsregierung von Sánchez mit nur 84 von insgesamt 350 Abgeordneten im Congreso de los Diputados hatte es noch schwerer.

Zünglein an der Waage

Kataloniens Separatisten könnten am Sonntag erneut entscheidend für die Regierungsstabilität werden. Darf man jüngsten Umfragen glauben, könnte es zu einem Patt zwischen dem rechten und dem linken Lager kommen und die Separatisten könnten zum Zünglein an der Waage werden. Die (PP, die Ciudadanos und die neue rechtspopulistische Vox-Parteien kommen laut Umfragen fast auf die selbe Zahl von Parlamentssitzen wie eine mögliche Links-Koalition aus Sozialisten (PSOE) und der linkspopulistischen Unidas Podemos. Da letztere Formation jedoch mit enormen Wahlverlusten rechnen muss, könnten die beiden katalanischen Separatisten ERC und JxCAT erneut für eine linke Regierungsmehrheit notwendig werden.

Die Katalanen unter der separatistischen Regionalregierung von Quim Torra könnten zum Zünglein an der Waage werden.
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Ein Horrorszenario für Sánchez. Immerhin waren Kataloniens Separatisten der Grund für die Neuwahlen. Sie entzogen Sánchez Minderheitsregierung im Februar wegen der stockenden Gespräche über die Unabhängigkeit die parlamentarische Unterstützung für die Verabschiedung des Haushalts. Sánchez sprach sich bei der Übernahme der Regierung vergangenen Sommer zwar für den Dialog mit der separatistischen Regionalregierung von Quim Torra in Barcelona aus. Stellte aber gleichzeitig klar, dass die Unabhängigkeit und ein Referendum über die Loslösung der Region von Spanien auch für ihn eine rote Linien seien.

„Mit allen sprechen"

Da sich Sánchez aber auch von den Linksrepublikanern keine Regierungsstabilität verspricht und Unidas Podemos einzubrechen droht, scheint sich der Sozialist schon mal nach Alternativen umzuschauen. Am Donnerstag erklärte er im spanischen Staatsfernsehen TVE, es sei seine Aufgabe "mit allen politischen Parteien zu sprechen". Damit gibt Sánchez nur drei Tage vor den Parlamentswahlen erstmals einen Hinweis auf ein mögliches Bündnis mit den rechtsliberalen Ciudadanos.

Cudadanos-Chef Albert Rivera lehnte im Laufe des Wahlkampfes aber immer wieder eine Koalition mit den Sozialisten ab, da diese mit den katalanischen Separatisten verhandelt hätten. Doch in der Vergangenheit zeigte sich Rivera immer wieder wankelmütig und ging in verschiedenen Regionen sowohl mit Sozialisten als auch mit Konservativen und Linkspopulisten Koalition ein, um an die Macht zu kommen. (APA, dpa, TT.com)