Fehlendes Zusatzpersonal an den Schulen begünstigt Eskalation
Videos aus einer Wiener HTL rütteln auf. Schüler und ein Lehrer setzten massive Gewalt ein. In Tirol sind keine derartigen Attacken bekannt, Sozialarbeiter fehlen.
Von Alexandra Plank
Innsbruck — „Das ist ein Horror, da hätte auch ein Sozialarbeiter nichts mehr ausrichten können", sagt Günther Laner, Direktor der HTL-Anichstraße. Er hat sich die Videos, die in einer Wiener Schule gemacht wurden, angeschaut und hält fest: „Da leben wir hier in Tirol wirklich auf einer Insel der Seligen." Dennoch will Laner das Konfliktfeld Schule nicht kleinreden: 1400 Schüler zählt seine Einrichtung. Er gehe nicht davon aus, dass ausgerechnet an seiner Schule die Jugendlichen das Sammelsurium an Problemen, die dieses Alter mit sich bringt, an der Schwelle zu den Klassenzimmern lassen.
Da der Bund keine Soziarbeiter vorsieht, die im Vorfeld viele Konflikte entschärfen können, wird der Sozialarbeiter, „ein cooler Typ", so der Direktor, aus dem Schulbudget finanziert. „Ich habe eine hervorragende Rechnungsführerin, die schaut, dass sich das für 20 Stunden ausgeht", so Laner. In Kooperation mit der Schulärztin könne man 40 Stunden Prävention anbieten. Lehrer und Schüler würden lieber teure Maschinen selbst reparieren und so den Sozialarbeiter einarbeiten.
Gerhard Seier, Vorsitzender der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst Tirol, hatte schon im März gegenüber der TT erklärt, dass Übergriffe von Schülern gegenüber Lehrern vermehrt Thema seien. Das werde aber nur selten öffentlich, da es für einen Lehrer peinlich sei, einzugestehen, dass er seine Klasse nicht im Griff habe. Die Gewerkschaft bemängelt schon lange, dass Österreich beim Unterstützungspersonal im OSZE-Schnitt ganz hinten liege. „Um ein durchschnittliches Niveau zu erreichen, wären österreichweit 12.000 Unterstützer in der Schule nötig. Wenn wir es mit den Vorreitern, den skandinavischen Ländern, aufnehmen wollen, bräuchten wir sogar 20.000 Personen."
Brigitte Thöny von der Schulpsychologie in der Bildungsdirektion Tirol gibt an, dass die Bildungsdirektion relativ viel unternehme, um vorbeugend tätig zu werden. So gebe es unter anderem 19 Schulpsychologen und 30 Schulsozialarbeiter (siehe Kasten). „Es ist ein Problem, dass Schulsozialarbeiter an Bundesschulen nicht finanziert werden, auch in den höheren Schulen wird oft Unterstützung benötigt."
Zur Frage, ob das Zusammenleben in der Schule mehr Regeln brauche, verweist die Expertin auf die „neue Autorität". Diese Erziehung stellt die Beziehung in den Mittelpunkt. Der Leitsatz lautet: „Du kannst mit mir rechnen, aber du musst auch mit mir rechnen." Dieser Ansatz bringe jungen Leuten Sicherheit und gebe Halt.
Christoph Drexler, Obmann des Landeselternverbandes Tirol (ein Jahr im Amt), gibt an, dass an ihn bisher kein Vorfall im Ausmaß der Wiener HTL herangetragen worden sei. Er sehe die Sache naturgemäß eher aus Schülersicht. Ihm würden vor allem Fälle gemeldet, bei denen Lehrer ihre Aufsichtspflicht vernachlässigen. „Wenn ein Turnlehrer während des Unterrichts Kaffee trinken geht, ist das untragbar. Für Schüler ist es schwierig, Verfehlungen so zu dokumentieren, dass es als Beweis gilt."
Für Drexler steht fest, dass es für Schüler und deren Eltern nicht einfach sei, sich gegen einen Lehrer, der Schüler herabwürdigt, durchzusetzen. Es brauche mehr Sozialarbeiter und externe Hilfskräfte an den Schulen. Vertrauenslehrer würden als Teil des Systems gesehen. Der Vater hat festgestellt, dass Kinder, die von Lehrern gemobbt werden, nicht auf die Unterstützung anderer zählen dürfen.
„Deren Eltern haben Sorge, dass das auf das eigene Kind zurückfällt." Zweifelsohne gebe es Kinder, die stören. „Meist sind es zwei oder drei Rädelsführer", so der Elternvertreter. Time-out-Klassen, die vom Unterrichtsministerium forciert werden (siehe nächste Seite), sieht er skeptisch: „Kinder werden separiert und lernen nicht, wie man Konflikte löst."
Sozialarbeiter nur in Pflichtschule
Schulpsychologie. In Tirols Schulen sind 19 Schulpsychologen und zwei mobile interkulturelle Teams im Einsatz. Letztere bestehen aus sieben Mitarbeitern und sollen die Integration von Flüchtlingskindern erleichtern. Auch zwei Sozialpädagogen sind fix an Schulen, können aber auch mobil angefordert werden, etwa zur Reintegration suspendierter Schüler.
Schulsozialarbeiter. 30 Personen sind an den Pflichtschulen tätig, sie werden vom Land Tirol finanziert. Allerdings arbeiten viele in Teilzeit. An den Höheren Schulen, die vom Bund finanziert werden, gibt es keine Sozialarbeiter. Zwei Schulen, die HTL Anichstraße und die HTL Fieberbrunn, finanzieren die Sozialarbeiter aus ihrem eigenen Budget.
Krisen. Schulpsychologen können angefordert werden, wenn es in einer Klasse Probleme gibt. Auch Eltern können sich Hilfe für ihre Kinder holen. Immer wieder wenden sich Lehrer an den Dienst, wenn es Probleme gibt. Kontakt: 0512 90129260.