Wiener Festwochen - „Scarlet Letter“: Antipuritanisches Penisballett

Wien (APA) - Angelica Liddell ist mit ihren extremen Körperperformances eine mittlerweile etablierte Größe und setzte auch bei den Wiener Fe...

Wien (APA) - Angelica Liddell ist mit ihren extremen Körperperformances eine mittlerweile etablierte Größe und setzte auch bei den Wiener Festwochen wiederholt radikales Körpertheater gegen das von ihr empfundene Leid. Mit „The Scarlet Letter“ rennt die Spanierin nun in hochästhetischen Bildern gegen die Windmühlen einer puritanisch empfunden Gesellschaft an - und das für ihre Verhältnisse erstaunlich harmlos.

Jubel gab es vom Festwochen-Publikum am Sonntag ungeachtet dessen. Den freien und assoziativ gehaltenen Rahmen für Liddells aktuelle Arbeit stellt Nathaniel Hawthornes Moralroman „The Scarlet Letter“ aus 1850. Das titelgebende scharlachrote A, das der Ehebrecherin Hester von der puritanischen Gesellschaft des 17. Jahrhundert als Schandmahl auf der Kleidung gezwungen wird, steht bei der Performerin nicht für Adultery (also Ehebruch), sondern Art oder Artist.

In den ikonografischen Tableaus einer blutroten Bühne, setzt Liddell mithin den Aufschrei der Kunst gegen die Herrschaft der Vernunft, fordert die sexuelle Freiheit als Statement gegen die Ratio. Erneut stellt die 1966 geborene Künstlerin das Leid der Frau ins Zentrum, positioniert sich im puritanischen Kleid gegen die ihre sexuellen Begierden negierende Männerwelt.

Sie spielt mit blutig gepeitschtem, offenem Rücken, die Männer mit offener Hose, beziehungsweise ohne diese. Liddells Schmerzensfigur stehen acht nackte Performer gegenüber, die ihrem Leid bisweilen sportliche Spontaninstallationen entgegenstellen, schreiend Tische rücken, sich zu kryptischen Bilder arrangieren. Sie leidet wütend, sie wüten leidend.

Zugleich verzichtet Liddell, die zuletzt 2013 mit der Uraufführung von „Todo el cielo sobre la tierra (El síndrome de Wendy)“ bei den Festwochen zu sehen war, auch in „Scarlett Letter“ nicht auf Humor. So lässt sie eine misogyne Suada gegen die alternden Frauen vom Stapel, stellt ein Kyrie eleison dem alten Eurodancehit „Dragostea din tei“ gegenüber und lässt zu Lullys Hofmusik für den Sonnenkönig eine Pimmelparade abhalten.

Der Hodenhorde geben Kurzzitate von Foucault oder Derrida und immer wieder lange Textpassagen die intellektuelle Unterfütterung. Und doch fragt man sich nach einem gewissen Punkt als Zuschauer angesichts der munter hüpfenden Skrota, ob hier nicht ein Kampfruf für eine Freiheit ertönt, die doch nur leidlich bedroht scheint.

(S E R V I C E - Angelica Liddell: „The Scarlet Letter“ im Rahmen der Wiener Festwochen. Text/Regie/Bühne/Kostüme: Angelica Liddell. Mit Joele Anastasi, Thomas Conor, Tiago Costa, Julian Isenia, Angelica Liddell, Borja Lopez, Tiago Mansilha, Daniel Matos, Nuno Nolasco, Antonio Pauletta, Antonio L. Pedraza, Sindo Puche, Pietro Quadrino, Quentin Retzl, Thomas Sgarra, Isaac Torres, Philomene Troullier. Weitere Aufführungen am 13. und 14. Mai in der Halle E des MQ, Museumsplatz 1, 1070 Wien. www.festwochen.at/programm/produktionen/detail/the-scarlet-letter/)

(B I L D A V I S O - Bilder im Pressebereich von www.festwochen.at zum Download.)