EU

Vorschläge von Kanzler Kurz: Bewusste Polarisierung zur Mobilisierung

Schwierige Situation für ÖVP-Spitzenkandidat Karas – ob der scharfen Töne von ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz in Richtung Brüssel.
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EU-Wahlkampf: Welches Kalkül hinter der neuen Diktion des ÖVP-Kanzlers in Richtung Brüssel steckt.

Von Karin Leitner

Wien –„Bevormundung“ und „Regelungswahnsinn“. Derlei Diktion verwenden Rechtspopulisten bei ihrer Kritik an der EU – auch wenn ihre Länder zur Union gehören; und so in dieser mitbestimmen. Nun, knapp zwei Wochen vor der EU-Wahl, verwendet Sebastian Kurz dieses Vokabular, obwohl sich seine ÖVP als „klar pro-europäisch“ deklariert. Manche Parteigänger sind irritiert – und verärgert. Hans Winkler, Ex-ÖVP-Staatssekretär im Außenministerium, beurteilt des Kanzlers Begehren via Twitter so: „1000 Verordnungen zu streichen, klingt gut und ist populär. Die meisten EU-VO betreffen den Binnenmarkt, der kommt bei den Kurz’schen Prioritäten nicht mehr vor. Vielleicht abschaffen? Das freut sicher die Wirtschaft. Wo bleibt der hochgelobte Experte Karas? Sehr enttäuschend.“

Zu Kurz’ Wortwahl äußert sich ÖVP-Spitzenkandidat Othmar Karas nicht. Zu dessen Verlangen nach weniger Bürokratie verweist er darauf, dass dahingehend schon einiges geschehen sei: „In den vergangenen Jahren wurden Hunderte EU-Gesetze entweder abgeschafft, nicht weiterverfolgt oder einer Evaluierung unterzogen.“ Der von Österreich gestellte EU-Kommissar, ÖVP-Mann Johannes Hahn, will weder zu Kurz’ Forderung noch zu dessen Negativ-Befund etwas sagen.

Wie bewertet ihn die Europäische Kommission? „Dies sind Fragen, die zur aktuellen Kampagne gehören. Die EU-Kommission steht nicht im Wahlkampf“, sagt ein Sprecher. Und er fügt an: Es sei nicht bekannt, dass Kanzler Kurz die Causa gegenüber EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker beim EU-Gipfel im rumänischen Sibiu thematisiert habe.

Das ist natürlich kein Zufall, sondern entspricht dem Drehbuch der Türkisen. Von Anfang an war vorgesehen, dass sich Kurz erst im Finale des EU-Wahlkampfes in diesen einbringt. Seine Partei will am Abend des 26. Mai nicht nur ein bis zwei Prozent vor der SPÖ liegen; der Abstand soll größer sein.

Zu diesem Behufe gilt es, nicht nur die eigenen Anhänger zu einem Votum zu bewegen, sondern auch Leute, die der FPÖ zugetan sind. Bei diesen kommt Kurz gut an, wie seine Beliebtheitswerte zeigen. Das Kalkül laut ÖVP-Insidern: mit Kritik an der Verfasstheit der Union – viele Kleinunternehmer und Bauern, die um Förderungen ansuchen, beklagten die Bürokratie – und dem Ruf nach Reformen zu punkten. Auch mit verbaler Zuspitzung. Die berechnete Folge: Die Polit-Konkurrenz empört sich über Kurz, das veranlasst die eigene Klientel, sich hinter den Kanzler zu stellen, ihn zu unterstützen. Also Mobilisierung durch Polarisierung.

Türkise gestehen aber ein, dass die Sache für Kurz nicht risikolos ist, wenn er sich derart engagiert. Laufe es nicht wie gewünscht, habe er die Verantwortung zu tragen.

FPÖ-Spitzenkandidat Harald Vilimsky will sich die Urheberschaft für den EU-Tadel von Kurz nicht nehmen lassen: „Das, was jetzt gesagt wird, entspricht dem, was ich seit Jahren sage.“ In seiner Partei wird spekuliert, dass die ÖVP interne Umfragewerte hat, die nicht so gut seien, wie sie es sich erhofft habe. Und so greife sie – wie im Nationalratswahlkampf punkto Flüchtlinge – zu traditionell freiheitlichem Programm.

Für den routinierten EU-Parlamentarier Karas wird die Rolle als Wahlkampffrontmann der ÖVP immer schwieriger. Die FPÖ ist seit jeher sein Hauptwiderpart; jetzt greift seine Partei zu deren Repertoire. Und nicht nur das. Ein ÖVPler sagt: „Es entsteht der Eindruck, dass Kurz gebraucht wird, um die EU-Wahl zu gewinnen – weil Karas zu schwach dazu ist.“