EU-Wahl 2019

Kurz-Vorstoß für Schieder „Topfen“, EU sieht „Wahlkampf“

Andreas Schieder (SPÖ).
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Nach der Forderung von Bundeskanzler Sebastian Kurz, 1000 EU-Verordnungen zu streichen, kommt Kritik von der Konkurrenz. SPÖ-Spitzenkandidat Andreas Schieder sieht einen „vollkommenen Topfen“. Die EU-Kommission bezeichnet den Vorstoß als „Wahlkampf“. Kurz habe das Thema auch nicht mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker besprochen.

Wien – Die Einmischung von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ins Rennen um das EU-Parlament hat den Wahlkampf ein Stück weiter angekurbelt. Der Spitzenkandidat seiner Partei, Othmar Karas, verwies als Reaktion auf dessen Forderung nach Streichung von „1.000 EU-Verordnungen“ auf bereits laufende Prozesse. Die EU-Kommission ortet schlicht Wahlkampf. Kritik am Vorstoß kam von den Mitbewerbern.

Eine „europapolitische Bankrotterklärung des ÖVP-Parteiobmanns“ ortete Johannes Voggenhuber, Spitzenkandidat von EUROPA Jetzt. „Da ist dem ÖVP-Obmann wohl endgültig die Maske des Proeuropäers verrutscht“, meinte er zur Kritik an einer angeblichen „Bevormundung“ durch Brüssel.

SPÖ sieht „vollkommenen Topfen“

SPÖ-Spitzenkandidat Andreas Schieder sagte, der Vorschlag sei „inhaltlich ein vollkommener Topfen“. Die ÖVP sei von der FPÖ nicht mehr zu unterscheiden, Kurz klinge kaum anders als Ungarns Premier Viktor Orban.

Mit der Behauptung, dass die EU an allem schuld sei und jeden bevormunde, habe sich der Kanzler vom proeuropäischen Kurs seiner Partei verabschiedet und deren europapolitisches Erbe in der Rhetorik der Rechtspopulisten versenkt. Kurz sei seit Jahren bei allen europapolitischen Beschlüssen mit dabei und spiele jetzt ein antieuropäisches Spiel. Damit mache er auch Wahlkampf gegen seinen eigenen Spitzenkandidaten Othmar Karas, so Schieder.

Die SPÖ stelle hingegen Zukunftsthemen in den Vordergrund, betonte er und legte ein inhaltliches Zwölf-Punkte-Programm vor. Europa müsse sozialer und demokratischer werden und sich der Nachhaltigkeit verpflichten, so die Eckpunkte. Konkret wünscht sich die SPÖ einen Sozialvertrag mit Mindestlöhnen und Sozialstandards, Maßnahmen gegen Lohn- und Sozialdumping, eine „Globalisierungspause“ und ein Beschäftigungs- und Innovationspaket samt Wohnbauoffensive und Eisenbahnausbau.

Neuer EU-Vertrag nur bei Stärkung des Sozialen

Beim Thema Nachhaltigkeit geht es Schieder um Steuergerechtigkeit, einen „Green New Deal“ Richtung CO2-Neutralität 2030, faireren Wettbewerbsbedingungen, einen Privatisierungsstopp sowie einer gemeinsamen europäischen Asylpolitik. Mehr Demokratie will die SPÖ durch eine Aufwertung des europäischen Parlaments (etwa durch ein eigenes Initiativrecht) erreichen. Ein Förderstopp bei Missachtung der Grundrechte sowie weniger Einfluss für Konzernlobbys gehört für die SPÖ hier auch dazu.

Einem neuen EU-Vertrag werde die Sozialdemokratie nur zustimmen, wenn die soziale Säule in der EU gestärkt und gegenüber dem Wettbewerb bevorrangt wird, betonte Schieder. Die Stärkung des Parlaments sei die zweite Voraussetzung, und ein neuer Vertrag müsse einer europaweiten Volksabstimmung unterzogen werden.

EU-Kommission: Stehen nicht im Wahlkampf

Die EU-Kommission hält die jüngste Forderung von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nach Bürokratieabbau in der EU für Wahlkampf. „Dies sind Fragen, die zur aktuellen Kampagne gehören. Die EU-Kommission steht nicht im Wahlkampf“, sagte ein Sprecher der EU-Kommission am Montag zu Kurz‘ Aussagen. „Wir werden Kommentare nicht kommentieren.“

Auch sei ihm nicht bekannt, dass Kurz das Thema gegenüber EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker beim Gipfel in Sibiu aufgebracht hätte, sagte der Sprecher. Die EU-Kommission wolle jedenfalls „groß bei großen Themen“ sein.

Karas sieht bereits Vereinfachung

Der ÖVP-Delegationsleiter im EU-Parlament und Parteifreund von Kanzler Kurz, Othmar Karas, hält indes einen weiteren Bürokratieabbau in der EU für notwendig. „Ich unterstütze die Initiative von (EVP-Spitzenkandidat, Anm.) Manfred Weber, weitere Vorschriften auf EU-Ebene abzuschaffen“, sagte Karas am Montag laut Aussendung.

„In den vergangenen Jahren wurden Hunderte EU-Gesetze entweder abgeschafft, nicht weiterverfolgt oder einer Evaluierung unterzogen“, meinte Karas allerdings zur Forderung des Kanzlers. Er verwies dabei auf die Initiative für bessere Rechtsetzung, an der er beteiligt gewesen sei: „In der vergangenen Legislaturperiode wurden dadurch 170 frühere EU-Gesetze eingestampft, weil sie überholt oder nicht mehr notwendig waren.“

Karas betonte, er sei an der Initiative für bessere Rechtsetzung beteiligt. „Vor wenigen Wochen wurde unter meiner Federführung die Zusammenfassung von 14 verschiedenen EU-Investitionsprogrammen zu einem einzigen beschlossen. Dadurch wird Effizienz erhöht und Bürokratie gesenkt.“ Bei der von ihm verhandelten Reform der EU-Bankenregulierung sei es gelungen, die Bürokratiekosten für kleine Unternehmen um 20 Prozent zu reduzieren.

EU-Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn, der auch Vizepräsident der Europäischen Volkspartei (EVP) ist, wollte auf Anfrage der APA am Montag nicht zu der Forderung des Bundeskanzlers Stellung nehmen. (TT.com/APA)