„Das Familienfoto“: Frühes Leid und emotionale Defekte
In Cécilia Rouauds Komödie „Das Familienfoto“ muss eine demente Großmutter existenzielle Risse kitten.
Von Peter Angerer
Innsbruck –Bei einer Komödie entscheidet meistens die erste Sequenz über Tempo und Stilmittel. Als Elsa (Camille Cottin) die Kisten mit Plastikboxen voller Gebratenem und Gebackenem für ein üppiges Picknick aus dem Kofferraum klaubt und nebenbei verkündet, eigentlich keine Lust zu haben, könnten die folgenden Bilder behutsam eine Überraschung vorbereiten. Doch Cécilia Rouaud hat in ihrer Komödie „Das Familienfoto“ nicht viel Zeit, weshalb sie Elsas Ehemann sagen lässt: „Wer hat schon Lust auf eine Beerdigung?“ Aber die Sozialarbeiterin denkt weniger an den traurigen Anlass als an die zu erwartenden unangenehmen Begegnungen.
Da ist ihr Vater Pierre (Jean-Pierre Bacri), der bereits in ihrer Kindheit die Familie für häufig wechselnde Sekretärinnen verlassen hat. Zudem betrachtet er den Friedhof als passenden Ort, seine aktuelle Lebensgefährtin zu präsentieren.
Ohne Groll begegnet Pierres Mutter dem Hallodri, der sich zuerst einmal vorstellen muss, denn die alte Dame hat ihn noch nie gesehen.
Mamie (Claudette Walker) ist es dann auch, die nach Aufklärung über die Identität des Toten verlangt. Die Nachricht, vor ein paar Tagen Witwe geworden zu sein, registriert sie mit einem Schulterzucken. Sie kann sich nur noch an einen Ort erinnern, den sie mit einem Gefühl von Glück und Sehnsucht verbindet, denn dort möchte sie sterben.
Aber die Familie ist noch nicht komplett. Claudine (Chantal Lauby, derzeit noch als bigotte Ehefrau von Monsieur Claude im Kino zu sehen) genießt als ehemalige Schwiegertochter ihr Vertrauen. Mamies Enkel Mao (Pierre Deladonchamps), ein wohlhabender Programmierer von Computerspielen, verspätet sich, weil er für seine halbherzigen Selbstmordversuche immer kleine Umwege in Kauf nehmen muss. Enkelin Gabrielle (Vanessa Paradis) vermittelt den Eindruck von Chaos, tatsächlich lebt sie von der inneren Ruhe. Als lebende Statue hofft sie auf das Erstaunen oder auch nur das Mitleid der Touristen. Für ihren pubertierenden Sohn ist diese Form des Gelderwerbs ein Grund zur Scham und dafür, das Weite zu suchen.
Demenzkranke Großmütter, die für ihre mehr oder weniger beschädigten Kinder und Enkel alles wieder richten müssen, sind in französischen Tragikomödien zu einem Erfolgsmuster geworden, von dem auch „Das Familienfoto“ keinen Millimeter abweicht. Dabei beobachtet Cécilia Rouaud ihre Figuren, die mit emotionalen Defekten leben müssen, mit großer Sympathie.
Während Gabrielle ihre innere Erstarrung sozusagen mit pantomimischer Verve zu einem Symbolbild einfriert, benötigen ihre Geschwister für die Aufarbeitung der Defizite aus der Kindheit professionelle Hilfe. Manche dieser Defizite bleiben Behauptung, manche werden zu Grotesken, wenn sich die Mitglieder des prominenten Ensembles in denkwürdigen Starauftritten verlieren.