Trickoper, handgemacht: „Oberon“ im Theater an der Wien

Wien (APA) - Liebe, im Labor gebaut, geprüft und in den Abfluss gekippt: Klingt nicht nach „romantischer Feenoper“, ist aber die Essenz von ...

Wien (APA) - Liebe, im Labor gebaut, geprüft und in den Abfluss gekippt: Klingt nicht nach „romantischer Feenoper“, ist aber die Essenz von Carl Maria von Webers „Oberon“ in der Regie von Nikolaus Habjan. Der österreichische Regisseur und Puppenmeister rückt einem seltsamen Stück mit mindestens so seltsamen Mitteln zu Leibe - und fördert in einer handgemachten Trickoper durchaus Vergnügliches zutage.

Im Theater an der Wien war gestern, Montag, Premiere. Feenkönig Oberon (Mauro Peter) und seine Frau Titania (Juliette Mars) streiten sich. Gibt es die wahre Liebe, die selbst im Angesicht des Todes treu bleibt? Sie starten ein Experiment. Was dann in der Märchenhandlung aus 1826 folgt - Abenteuer aus 1001 Nacht, ein Ritter und eine Prinzessin, eine Zofe und ein Knappe - hat Habjan in die Scheinwelt eines Laboratoriums aus der Gruselzeit der Psychiatrie verlegt. Das Feenkönigspaar betätigt hier nicht den Zauberstab, sondern die Spritze: nüchterne Menschenexperimente inklusive Elektroschocks, Halluzinogene und Sedative. Sowie ein paar behelfsmäßige Kulissen, via Overhead projizierte Hintergründe, kitschig-billige Kostüme für die Probanden. Und: Puppen.

Das zunächst freiwillige, bald aber hilflose Versuchspersonen-Quartett - bestehend aus Annette Dasch als Rezia, Vincent Wolfsteiner als Hüon, Natalia Kawalek als Fatime und Daniel Schmutzhard als Scherasmin - wird in die Versuchsanordnung gepresst. Experimentalgruppe und Kontrollgruppe, das Wahre der Liebe liegt in der Dosierung des intravenös verabreichten Aphrodisiakums. Rezia und Hüon sind sich sogleich unsterblich verfallen, Fatime und Scherasmin bilden dagegen nur eine schnell auflösbare romantisch-erotische Zweckgemeinschaft. Die emsigen Laborgehilfen (Manuela Linshalm, Daniel-Frantisek Kamen und Sebastian Mock - Habjan machte aus einem „Puck“ gleich drei) treiben das böse Spiel nicht nur mit Injektionen und Projektionen, sondern auch mit meisterlich geführten Puppen weiter - viel zu weit.

Das ist vor allem ziemlich witzig, nämlich auf die böse Art. Aber Habjan, der seine Produktion ursprünglich 2017 bei den Münchner Opernfestspielen der Bayerischen Staatsoper herausgebracht hat, will mehr, als nur witzig sein. Das böse Spiel darf bei ihm nicht gut enden, hinter dem abstrusen Geschehen soll ein tragisches Moment aufleuchten - und das will nicht recht gelingen. Die Hinrichtungsszene mit Elektroschocks im Rollstuhl ist in erster Linie geschmacklos und historisch unsensibel, die unerfüllte Sehnsucht und das moralische Dilemma von Oberon kommt über Slapstick nicht hinaus. Einzig als Annette Dasch als Rezia in einem kurzen hellen Moment zu durchschauen beginnt, dass die mörderischen Wellen des Ozeans aus Pappe sind und ihre Gefühle aus Chemie, nur um mit einer neuen Spritze rasch in die dumpfe Todesangst zurückgeholt zu werden, vermag das Schicksal der Probanden zu berühren - und auf ein Tieferes, Allgemeinmenschliches zu verweisen.

Ein seltsames Gebilde ist „Oberon“ nicht nur aufgrund seines wirren Plots, sondern auch wegen seiner losen Anordnung von Sprech- und Gesangstexten. Habjan hat dafür ein gutes Ensemble zusammengestellt, insbesondere Dasch, Kawalek und Peter sorgen in ihren Arien auch für fast normale Opernhöhepunkte. Und während die Trickkiste des Musiktheaters auf der Bühne offensiv aus- und wieder eingepackt wird, setzt man im Graben auf traditionellere Mittel: Der erst 25 Jahre alte Shootingstar Thomas Guggeis debütierte am Theater an der Wien am Pult des Wiener Kammerorchesters und sorgte für eine transparente, mit großer dramaturgischer Sorgfalt gewobene Wiederbegegnung mit den Schönheiten in Webers Partitur - nicht zuletzt dank wunderbarer Sololeistungen aufseiten der Holzbläser.

Nikolaus Habjan, gestern von herzlichem, wenn auch nicht stürmischem Beifall verabschiedet, fungiert in der kommenden Saison am Theater an der Wien als Director in Residence. Er wird dabei eine reine Puppen-Produktion an der Kammeroper (Gounods „Faust“) sowie erneut eine Mischung aus Puppen und Sängern am Haupthaus verantworten: Die „echte“ Sängerin heißt Marlis Petersen. Die Titelpartie „Salome“. Die Spannung darauf (Premiere am 18. Jänner) ist mit gestern Abend sicherlich gestiegen.

(S E R V I C E - „Oberon“ von Carl Maria von Weber. Regie: Nikolaus Habjan, Dirigent: Thomas Guggeis. Mit Annette Dasch, Mauro Peter, Vincent Wolfsteiner, Natalia Kawalek, Daniel Schmutzhard, Juliette Mars u.a. Arnold Schoenberg Chor, Wiener Kammerorchester. Weitere Vorstellungen am 15., 17. & 19. Mai, 10 Uhr. Theater an der Wien. www.theater-wien.at)