TT-Interview

Johannes Voggenhuber: „Europa lieben, wenn es Großes tut“

Johannes Voggenhuber führt die „Initiative 1 Europa“ an, unterstützt von der Liste „Jetzt“. 1995 bis 2009 war er EU-Mandatar der Grünen.
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Johannes Voggenhuber von der „Initiative 1 Europa“ über den „Schwarzbau“ EU und die anti-europäische Infamie der Grenzkontrollen.

Mehr oder weniger Europa: Wo ordnen Sie sich da ein?

Johannes Voggenhuber: Ich halte eine tiefere Einigung Europas für unerlässlich. Das ist keine ideologische Frage. Das ist eine Frage der Zukunftsunfähigkeit des Nationalstaats mit immer mehr grenzüberschreitenden Problemen, von Migration über Flucht bis hin zum Klimaschutz und zur Neuordnung des Welthandels. Mein Weg ist die „Republik Europa“, wo wir die Vertrauenskrise lösen und eine europäische Demokratie schaffen, bevor wir über die Kompetenzen reden.

Diese Republik wäre ein massives Mehr an Europa.

Voggenhuber: Wenn es darum geht, Europa die Demokratie zu verweigern, weil der Rat der Regierungschefs auf seiner Machtversessenheit beharrt, werden die nationalen Regierungen zum ersten Mal auf den Widerstand der Menschen treffen.

Derzeit scheint der Trend aber doch in Richtung Nationalstaaten zu gehen.

Voggenhuber: Noch ist das, was Sie beschreiben, nicht real. Noch ist es nur Stimmung – mit Ausnahme eines großen Einbruchs im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise, in der es dem Rat gelungen ist, unter dem Titel „Notstand“ das Rad zurückzudrehen.

Ein Zurück zu mehr Nationalstaat sehen Sie nicht?

Voggenhuber: Das ist einfach nicht möglich. Es gab Thinktanks mit dem Auftrag, Materien zu benennen, die man zurückholen kann. Alle haben ihre Arbeit ohne Ergebnis eingestellt. Wenn Bundeskanzler Sebastian Kurz 1000 Verordnungen aufheben will, würde das die Zerschlagung der Union und des Binnenmarktes bedeuten. Gerade die Pommes frites zeigen das: Es geht darum, in einer Zeit der Großküchen und der Industrienahrung Lebensmittelgesundheit festzuschreiben. Oder die Glühbirnen: Hier haben wir in wenigen Jahren die Energie von zwei Atomkraftwerken eingespart.

Wie weit darf ein Pro-Europäer mit seiner Kritik an Europa gehen?

Voggenhuber: Weit, weil die EU ist architektonisch gesehen ein Schwarzbau. Ziel der Einigung kann nicht nur ein Europa des Geldes und des Marktes sein. Es muss ein politisches Gemeinwesen sein. Wenn eine Krise sich zuspitzt, gibt es auch Zustimmung der Staaten, Kompetenzen abzugeben. Was aber fehlt, ist eine demokratische Architektur. Die Frage, wer Europa regiert, ist nicht beantwortet. Wir müssen daher die Frage der europäischen Verfassung noch einmal stellen.

Werden wir konkreter. Seit einigen Jahren wird an den Grenzen wieder kontrolliert. Sollte Europa mehr Kompetenzen haben, um die Freizügigkeit wieder herzustellen?

Voggenhuber: Natürlich. Hier merkt man, wie der rein demagogische Nationalismus Druck ausübt. Die inneren Grenzen Europas aufzumachen, war ein Traum. Diesen Traum zu zerstören, ist eine anti-europäische Infamie.

Kann die EU überhaupt einschreiten?

Voggenhuber: Sie kann die Kontrollen untersagen. Und anhand der Reaktion der Staaten würden wir den Test machen, ob wir noch in einem Rechtsstaat leben.

Ein Problem in Tirol ist der Transit. Ist die EU in diesem Punkt gescheitert?

Voggenhuber: Der Klimaschutz gibt uns eine echte Chance, das Gesamtsystem umzustellen. Dann kann auch der Brennerbasistunnel seine Wirkung entfalten. Vielleicht kommen wir auch zu ganz neuen technischen Lösungen für den Gütertransport, wenn das Loch im Berg erst einmal gegraben ist. Europa muss größer denken. Man wird Europa lieben, wenn es Großes tut. Das gilt auch für die Migration. Können wir als größte Wirtschaftsmacht der Welt in Afrika nicht das tun, was China mit der Seidenstraße tut? Dann werden wir die Migrationsfrage auf einer menschlichen Ebene lösen.

Wie erklären Sie, dass jemand Sie wählen soll und nicht die Grünen?

Voggenhuber: Ich werde Sie nicht auffordern, mich statt den Grünen zu wählen. Ich konkurriere nicht mit den Grünen. Aber ich stelle schon klar: Zu meiner Zeit haben die Menschen immer gewusst, wer für die Grünen im Europäischen Parlament sitzt. Das ist der Unterschied.

Sie treten mit Unterstützung der Liste „Jetzt“ an. Viel ist davon aber nicht zu sehen. Hätten Sie sich mehr Unterstützung gewünscht?

Voggenhuber: Das ist ein Balanceakt, den ich durchstehen muss. Ich könnte ohne Unterstützung der Liste Jetzt nicht einmal in den Diskussionen im ORF sitzen. Ich trete aber mit einer unabhängigen Plattform an. Ich habe mein politisches Leben mit einer Bürgerinitiative begonnen. Es endet mit einer Bürgerinitiative. Das ist doch schlüssig.

Das Gespräch führte Wolfgang Sablatnig