Putin und Van der Bellen eröffneten Sotschi-Dialog
Der Bundespräsident verwies auf die „lange zurückliegende gemeiname Geschichte“ Österreichs mit Russland. Van der Bellen will Putin zu „vertrauensbildenden Maßnahmen“ im Ukraine-Konflikt ansprechen.
Sotschi – Der russische Präsident Wladimir Putin und Bundespräsident Alexander Van der Bellen haben am Mittwoch im Schwarzmeer-Badeort Sotschi das bilaterale Gesprächsforum „Sotschi-Dialog“ eröffnet. Die beiden erklärten in einer Pressekonferenz, die geplanten Veranstaltungen sollten die ohnehin guten Beziehungen vertieft werden. Auch in einigen internationalen Fragen zeigten sie Einigkeit.
Etwa zum Iran betonten die Staatsoberhäupter, dass sich Teheran an die Verpflichtungen des 2015 in Wien geschlossenen Atomabkommens gehalten habe. Sie kritisierten beide die USA dafür, aus der Vereinbarung ausgetreten zu sein. Es gehe nicht nur um „Vertragstreue“, sagte Van der Bellen, sondern er warnte auch davor, dass sich der Iran zu einem „Krisenherd“ entwickeln könne. Und er sagte, dass die USA mit ihren Sanktionen gegen den Iran indirekt auch Europäer „bestrafen“ würden.
Putin seinerseits erklärte, dass das „wohl meistkontrollierte und transparenteste Land auf der Welt“ mit seinem angekündigten Teilausstieg aus dem Atomabkommen nur auf die USA geantwortet habe. „Morgen werden alle vergessen haben, dass die USA der Initiator waren, und der Iran wird daran schuld sein“, antizipierte er. Und obwohl Russland das Abkommen retten wolle, könne es „nicht alles retten“. „Russland ist kein Feuerwehrteam“, so Putin. Es hängt „nicht nur von uns ab, es kommt auf alle Länder an“. Für ein Treffen mit US-Präsident Donald Trump zeigte sich Putin dennoch offen. „Wir sind offen für diese Gespräche an jedem Ort, insbesondere auch in Wien“, sagte er.
Unterstützung für Nord Stream 2
Beide Staatsoberhäupter bekräftigen außerdem ihre Unterstützung für das umstrittene und von den USA angefeindete Pipelineprojekt Nord Stream 2. Putin zeigte sich genervt über das Tauziehen: Mit den Türken sei es einfacher zusammenzuarbeiten als mit den Europäern. „Hier braucht man 27 Staaten, um zu einer Einigung zu kommen. Und jahrelang kauen wir Kaugummis und nichts passiert. Das ist ein Trauerspiel“. Van der Bellen bestätigte, dass die OMV „nicht die geringste Absicht hat, aus dem Projekt auszusteigen“.
Wenig Reibungsfläche gab es zwischen Van der Bellen und Putin auch in Sachen EU-Sanktionen. Van der Bellen sagte zu Putin: „Als Ökonom kann ich Ihnen nur zustimmen, Sanktionen schaden beiden Seiten.“ Putin ging weiter und erklärte sogar, die Sanktionen würden dem Völkerrecht widersprechen, weil nicht der UNO-Sicherheitsrat sie erlassen habe. Immerhin verwies Van der Bellen auf den „realpolitischen Hintergrund“ der Sanktionen, nämlich die völkerrechtswidrige Annexion der ukrainischen Krim-Halbinsel durch Russland und die Situation in der Ostukraine.
Im Ukraine-Friedensprozess wünschte sich Van der Bellen positive Bewegung. Noch vor dem rund eineinhalbstündigen Gespräch mit Putin regte er gegenüber Journalisten an, „ob es nicht auch im Interesse Russlands wäre, die eine oder andere vertrauensbildende Maßnahme zu setzen“. Das Verteilen von russischen Pässen an Ukrainer sei zwar „keine vertrauensbildende Maßnahme“, bestätigte der Bundespräsident. Aber: „Auf der ukrainischen Seite wurden Maßnahmen getroffen, die Einschränkungen der russischen Sprache betrifft. Also ich würde sagen, beide Seiten bleiben sich wenig schuldig.“
Van der Bellen: „Keine grundsätzliche Vertrauenskrise“
Van der Bellen „steht nach wie vor“ zu seiner Aussage von 2018, wonach es „keine grundsätzliche Vertrauenskrise“ zwischen Russland und Europa gebe, wie er auf Nachfrage betonte. „Ich denke, wir wissen, woran wir wechselseitig sind. Wir erleben – in den letzten Jahren jedenfalls – keine großen Überraschungen, keine negativen, aber auch keine positiven“.
Den Vorwurf, dass Österreich zu russlandfreundlich oder gar unterwürfig wäre, wollte Van der Bellen aber nicht stehen lassen. „Das finde ich gar nicht“, sagte Van der Bellen. Er verwies darauf, dass „Österreich und Russland eine lange zurückliegende gemeinsame Geschichte haben, die uns von anderen Ländern unterscheidet“ und erwähnte die Unterzeichnung des Staatsvertrags am 15.5.1955. Er plädierte für Geduld im Umgang mit Russland: „Man muss etwas haben, was Russen und Österreicher gemeinsam haben, nämlich Geduld. Es bringt nichts, zu erwarten, dass man in fünf Minuten sehr schwierige Probleme lösen kann“, sagte Van der Bellen.
Auch Putin erwähnte den Staatsvertrag in der gemeinsamen Pressekonferenz. Und beide verkündeten Bewegung in Sachen Raubkunst. Das Salzburg Museum soll im Herbst acht während des Zweiten Weltkriegs geraubte antike Kunstobjekte an Russland restituieren. Außerdem wurde von russischer Seite in Aussicht gestellt, jüdisches Archivmaterial, das nach dem Zweiten Weltkrieg in die Sowjetunion gelangte, an Österreich zurückzugeben.
Dialog bei Kunst, Wirtschaft, Wissenschaft und Sport
Kunst ist einer der Bereiche, wo Russland und Österreich im Rahmen des Sotschi-Dialogs enger kooperieren wollen. Die weiteren Bereiche sind Wirtschaft, Wissenschaft und Sport. Der Ko-Vorsitzende des rund 20-köpfigen Steuerungskomitees des Sotschi-Dialogs, Ex-Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl, betonte gegenüber Journalisten, dass auch der Austausch von Schülern und Studenten stark gefördert würde. Die Jungen seien die Zukunft, so Leitl, der auch konkrete Ergebnisse der ersten Sitzung des Komitees am Mittwoch berichtete.
So soll einmal jährlich eine Plenarsitzung stattfinden: 2020 im Rahmen des 100-Jahre-Jubiläums der Salzburger Festspiele, zu denen Van der Bellen Putin auch einlud. Im Rahmen des St. Petersburger Wirtschaftsforums soll es einen Austausch ähnlicher zivilgesellschaftlicher Dialogformate geben. Zehn junge Russen sollen nach Österreich eingeladen werden im Rahmen des Europäischen Jugendforums Neumarkt (EYFON). Gemeinsame Sport- und Kulturveranstaltungen sollen stattfinden und 2019/2020 das gemeinsame Jahr der Literatur und des Theaters sowie ein österreichisch-russisches Wirtschaftsforum.
Obwohl das Forum sich zivilgesellschaftlich nennt, sind Nichtregierungsorganisationen oder Menschenrechtler nicht vertreten. Für das Forum ist auf russischer Seite der ehemalige Bildungsminister und Putin-Berater Andrej Fursenko verantwortlich. Es zeichnet sich insbesonders auf russischer Seite durch eine staatsnahe Zivilgesellschaft aus. Organisatorisch ist das Außenministerium zuständig, ein eigenes Budget gibt es vorerst aber nicht dafür. (APA)