Haller: Auseinandersetzungen immer härter, immer brutaler
Endeten Schlägereien früher mit einem Veilchen, so brechen heute Knochen. Der bekannte Gerichtspsychiater Reinhard Haller im Gespräch mit der Tiroler Tageszeitung.
Von Thomas Hörmann
Innsbruck –Zwei Hirnblutungen, Kiefer- und Nasenbeinbrüche, bewusstlose Opfer: Allein in den vergangenen Wochen beschäftigten mehrere gewalttätige Auseinandersetzungen mit schlimmen Folgen die Innsbrucker Polizei. Eine zufällige Häufung? Keineswegs, meint der bekannte Gerichtspsychiater Reinhard Haller: „Das Aggressionspotenzial ist deutlich größer als früher.“
Das weiß inzwischen auch jener Obdachlose, der Anfang Mai im Stadtteil Wilten ausgeraubt wurde. Die beiden Täter begnügten sich nicht mit dessen Geld, sie schlugen das Opfer auch brutal zu Boden. Eine Hirnblutung war die Folge.
Eine Hirnblutung erlitt auch ein 41-jähriger Familienvater Ende März bei einer Auseinandersetzung vor einem Lokal in der Wiesengasse. Und einen Kieferbruch, der im Vergleich dazu fast wie eine Lappalie erscheint. Laut Polizei bestand kurzfristig sogar Lebensgefahr.
Vor einer Bar in der Badgasse verlor ein 29-Jähriger Anfang Mai das Bewusstsein. Die Folge der Faustschläge, mit denen ein Unbekannter den Einheimischen nach einer verbalen Auseinandersetzung traktierte. Und in einem Lokal in der Bogenmeile erlitt ein Gast bei einer Schlägerei im April einen Kieferbruch. Ähnlich erging es einem 20-Jährigen Ende April bei einer Attacke in der Maria-Theresien-Straße: Nase und Jochbein gebrochen, Gehirnerschütterung, Klinikaufenthalt.
Für Haller ist diese Serie kein Zufall: „Die Kriminalität geht zwar zurück, die Delikte werden aber brutaler.“ Eine Entwicklung, für die der Gerichtspsychiater mehrere Gründe anführt. Dazu zählt, dass harte körperliche Arbeit früher normal war, jetzt nicht mehr: „Die Leute konnten sich abreagieren.“ Auch Kriege führten regelmäßig zu einem Aggressionsabbau in der Gesellschaft.
Bei heutigen Auseinandersetzungen „genügt schon ein Tropfen und es kommt zum Overkill“, erklärt Haller: „Die Menschen geben sich oft cool, innerlich schaut’s aber ganz anders aus.“ Und dann wird bei Schlägereien viel härter zugeschlagen als eigentlich notwendig. Selbst wenn der Gegner schon am Boden liegt, wird er weiter mit Fußtritten bearbeitet. Ein Verhalten, das Haller auch auf Alkohol und Drogen zurückführt: Diese Substanzen seien bei gewalttätigen Auseinandersetzungen immer häufiger im Spiel. „Nimmt der Gebrauch von Alkohol und Suchtmitteln zu, steigt auch die Aggression“, beschreibt der Psychiater den Zusammenhang. Nach Einschätzung Hallers spiele aber auch eine Rolle, dass „es nicht mehr viel Einfühlungsvermögen in der Gesellschaft gibt, die Empathie nimmt ab“.
Der Trend zur Ausübung von allen möglichen Kampfsportarten hat nach Ansicht des Experten hingegen keinen Einfluss. Zumindest keinen negativen, im Gegenteil: „Kampfsport führt zum Abbau von Aggressionen.“