Experten: „Berechtigte Sorge“ der Eskalation im Iran
Wien (APA) - Für den auf den Iran spezialisierten Rechts- und Wirtschaftsexperten Stephan Denk ist die Situation vor Ort sehr bedrohlich. „E...
Wien (APA) - Für den auf den Iran spezialisierten Rechts- und Wirtschaftsexperten Stephan Denk ist die Situation vor Ort sehr bedrohlich. „Es ist schon eine berechtigte Sorge, dass das ganze in Richtung Eskalation läuft“, sagte er am Donnerstag in einem Telefongespräch mit der APA. Sein Kollege Farid Sigari-Majd erkennt in der Verschärfung der Sicherheitsauflagen und der Rhetorik eine „ganz klare Sprache“.
„Die Situation erinnert erstaunlich an das Anlaufen der Propagandamaschinerie vor dem Einmarsch der Amerikaner in den Irak“, fuhr Sigari-Majd fort. Da unterschiedlichste politische Akteure in die Situation verstrickt seien, reiche ein Funke, um das ganze Pulverfass zum explodieren zu bringen. Die USA zogen erst kürzlich den Großteil ihres Botschaftspersonals aus dem angrenzenden Irak zurück und verlegten einen Flugzeugträger in den Persischen Golf.
Die Sanktionen tragen für die beiden Mitglieder der Anwaltssozietät Freshfields Bruckhaus Deringer zur Verschärfung bei, denn der Iran befinde sich in einer „veritablen Wirtschaftskrise“. Die Sanktionen der USA auf den Stahlbereich träfen nach der Erdölproduktion den zweitgrößten Wirtschaftssektor des Landes. Durch die Sekundärsanktionen, die vor allem Unternehmen aus Drittstaaten, also der EU, China und Russland, betreffen, werde ebenfalls „Druck aufgebaut“. Die Angst vieler Unternehmen, sich weiter im Iran zu engagieren, sei groß, denn US-Sanktionen gegen europäische Unternehmen seien „drakonisch“. „In der Vergangenheit hat es schon Hunderte Millionen Dollar Strafzahlungen gegeben, das ist wirklich existenziell“, erklärte Denk.
Den Grund für die schrittweise Abkehr Teherans vom Atomdeal (JCPOA) führt Sigari-Majd auf innenpolitische Faktoren zurück. „Die jetzige Regierung ist im Land von den Hardlinern ziemlich in die Enge gedrängt worden“, erläuterte er. Diese seien von Anfang an gegen ein Abkommen gewesen und fühlen sich durch die Aufkündigung des Deals durch die USA bestätigt. Die Regierung, die den Vertrag abgeschlossen hat, müsse nun „gewisse Töne anschlagen, um nicht zu proamerikanisch oder weich zu erscheinen“.
Sigari-Majd vermutet, dass der Iran so Druck auf die anderen Vertragspartner des JCPOA ausüben will, um Lösungen zu forcieren und aus der schwierigen Wirtschaftslage herauszukommen. „Seitens der europäischen Partner aber auch von Russland und China wurden viel zu wenig effektive Akzente gesetzt, um dem Wegfall der Geschäfte durch die amerikanischen Sanktionen auszugleichen oder aufzufangen“, analysierte er. Denk fügte hinzu, dass dies aber auch zu einer weiteren Eskalationsspirale führen könnte, denn die EU könnte wegen der Vertragsaufkündigung ebenfalls Sanktionen verhängen.
Das JCPOA hat mit dem Ausstieg der USA im vergangenen Jahr „stark an Resonanz verloren“. „Ob das JCPOA eine Zukunft hat, kann man mit guten Gründen hinterfragen“, so Denk. Gerade weil die letzten Sanktionen besonders Unternehmen aus Drittstaaten betreffen, verliert das JCPOA an Bedeutung. Es komme nun auch darauf an, wie die EU auf die Ankündigung des Iran reagiere, die Urananreicherung auszubauen. „Große Hoffnungen für das Abkommen braucht man sich aus der derzeitigen Sicht nicht zu machen“, sagte er.
Die bisherigen Maßnahmen der EU, um dem Iran trotz US-Sanktionen entgegenzukommen, sind laut Denk „nicht sehr hilfreich“. Einerseits könne man europäischen Unternehmen nicht die Angst vor US-Sanktionen nehmen, da in den meisten Fällen der US-Markt wichtiger sei als die Geschäfte im Iran. Andererseits betreffe das EU-Zahlungssystem „Instex“, das trotz Sanktionen die Geschäfte europäischer Firmen mit dem Iran sicherstellen soll, bisher nur Sektoren, gegen die keine Sanktionen verhängt wurden, wie Lebensmittel oder Arzneimittel. „Das ist kein Instrumentarium, mit dem man Öllieferungen finanzieren kann“, erklärte er.
Dennoch gebe es noch immer Unternehmen, die weiterhin Geschäfte im Iran machen. „Diese Unternehmen haben die Zeit zwischen Mai vergangenen Jahres und jetzt genutzt, (...) um sicherzustellen, dass ihnen kein Verstoß gegen irgendwelche Sanktionen vorgeworfen werden kann“, berichtete Sigari-Majd. „Wir haben also viele europäische Unternehmen, die weiterhin im Iran tätig sind und die geschaut haben, dass ihre Struktur den Sanktionsnormen entspricht“, erklärte er. Doch besonders Finanztransaktionen seien problematisch: „Geldflüsse in und aus dem Iran sind unglaublich erschwert worden und gehen nur über zehn Ecken mit komplizierten Compliance-Checks“, erklärte er. Dies gehe nicht nur auf die Sanktionen, sondern auch auf die vom Iran noch nicht richtig umgesetzten Maßnahmen zur Terrorbekämpfung zurück.
(Das Gespräch führte Martin Auernheimer / APA)