Filmfestspiele Cannes - Ken Loach: „Dieses System tötet!“
Cannes (APA) - Der britische Regisseur Ken Loach (82) hat in Cannes dazu aufgerufen, den ungebremsten Kapitalismus endlich in seine Schranke...
Cannes (APA) - Der britische Regisseur Ken Loach (82) hat in Cannes dazu aufgerufen, den ungebremsten Kapitalismus endlich in seine Schranken zu weisen. „Wenn wir das nicht in den Griff kriegen, übernehmen das die extremen Rechten“, sagte er am Freitag bei der Pressekonferenz zu seinem Wettbewerbsfilm „Sorry we missed you“.
Sein Film zeigt eine englische Arbeiterfamilie im täglichen Überlebenskampf. Dieser sei nicht zu gewinnen, betonte Loach am Tag nach der Premiere. „Der Film zeigt nicht das Scheitern von Kapitalismus, sondern seine Arbeitsweise. Das wird auch immer so weitergehen, bis wir selbst Veränderungen durchsetzen, denn die Unternehmen werden es nicht machen.“
Gespräche über die Verwandlung der Arbeitswelt seien der Ausgangspunkt seines neuen Films gewesen, erzählte der zweifache Gewinner der Goldenen Palme. Soziale Sicherheit werde von totaler Unsicherheit für die Arbeitnehmer abgelöst, die entweder über Leiharbeitsfirmen angestellt oder in die Schein-Selbstständigkeit gedrängt würden. Drehbuchautor Paul Laverty betonte, dass nichts in dem Film erfunden sei: „Alles gibt es wirklich - all‘ dieses Outsourcing und Franchising lädt Last und Risiko auf den Arbeitnehmer.“
Gedreht wurde in Newcastle, einer Stadt mit hohem Armutsanteil. „Es ist ein Mikrokosmos von Großbritannien. Die Mehrheit der Menschen dort kämpft schlicht ums Überleben“, so Loach. Exemplarisch dafür ist der Protagonist, der Lieferwagenfahrer Ricky (Kris Hitchen), der in eine Mühle aus Zeitdruck und Schulden gerät, die ihn zerreibt. „Sein Lieferwagen ist sein Gefängnis. Es gibt keinen Ausweg.“ Es gebe Beispiele für Menschen, die wie Ricky vor ihrer Entlassung aus dem Spital flüchteten, weil sie arbeiten gehen müssten. Ein besonders bekannter Fall habe mit dem Tod geendet. „Dieses System tötet!“
Viel Hoffnung auf eine Veränderung durch herkömmliche Politik hat Loach nicht. „Wir hatten falsche Linkspolitiker, die uns was ‚Caring Capitalism‘ erzählt haben. Wo ist der? Niemand hat den je gesehen!“ Kleiner Lichtblick sei einzig die prononciert linke Politik von Jeremy Corbyn. Es sei aber dringend notwendig, dass die Linke aktiv werde, sonst erhalte die extreme Rechte noch mehr Zulauf. „Die Rechte baut auf Angst, die Linke baut auf Vertrauen. Das aufzubauen ist immer schwieriger.“
Diesen kämpferischen Tönen hatte Loachs Darstellerriege nur wenig hinzuzufügen. Sie brachten aber echten Working Class Appeal in das auch auf Glanz und Schick setzende Filmfestival an der Cote d‘Azur. Und die 12-jährige Katie Proctor, die von der Schulbank weg als Tochter gecastet wurde, eroberte mit natürlichem Charme und Verschmitztheit die Journalistenherzen, als sie bekannte: „Ehrlich, als ich das Drehbuch gelesen habe, habe ich geweint.“