Das Pannendreieck ist ein Roboter
Im Experimental-Sicherheitsfahrzeug ESF 2019 steckt der aktuellste Innovationsstand der Mercedes-Sicherheitstechnologien.
Sindelfingen –Es mag reichlich dekadent wirken, einen Sicherheitsgurt zu beheizen. Als genügte es nicht, dass man Sitze und Lenkräder anwärmen kann. Es könnte sich jedoch auch um eine Sparmaßnahme handeln. Um mit Strom besser zu haushalten. Denn der wird, abgesehen von elektronischen Sicherheits- und Komfort-Features, nicht allein fürs Wärmen (oder Kühlen) gebraucht. Er soll für eine möglichst lange Reichweite jener elektrischen Antriebe aufgespart werden, die – so das aktuelle Zukunftsszenario der Autohersteller – thermische Systeme ersetzen sollen. Kann man dem Gurt einheizen, braucht man weniger Elektrizitäts-Energie für Sitzmöbel und Klimaanlage. So begründen das die Mercedes-Entwickler. Doch das heizbare Rückhaltesystem ist nur eines einer Fülle neuer Details, die das Autofahren so sicher machen sollen, dass Menschen nicht mehr zu Schaden, geschweige denn zu Tode kommen.
Die Sicherheitsforschung und -entwicklung hat bei Mercedes-Benz Tradition. Datiert werden erste Versuchsreihen in die Vorkriegszeit, seit 1949 wird systematisch an aktiver und passiver Fahrzeugsicherheit geforscht sowie entwickelt. Erste Resultate waren nicht unvermittelt aufspringende Türschlösser, die Entschärfung (im Sinne des Wortes) des Interieurs, Knautschzonen, Fahrgastzellenschutz und vieles mehr.
Seit 1971 entwickeln die Stuttgarter dafür automobile Versuchsträger, die unter der sperrigen Bezeichnung „Experimental-Sicherheitsfahrzeug“ laufen, doch – geschmeidiger – ESF genannt werden. Darauf zurück gehen unter anderem normierte Crashtests und eine Reihe gängiger (für die Zulassung längst verpflichtender) Systeme wie ABS, auch ESP. Basierte die erste ESF-Reihe auf dem W114 (/8), so folgte, bis 2009, die W116-Baureihe samt Nachfolgern (S-Klasse). Mittlerweile war man unter anderem bei Features wie Gurt-Airbag, adaptivem LED-Licht und vorausschauenden Sicherheitssystemen (Pre-Safe) angelangt.
Das runde ESF-Jubiläum – 70 Jahre – zeitigte einen neuen Versuchs- und Forschungsträger. Dem liegt, dem Trend entsprechend, das SUV-Modell GLE in der Plug-in-Hybrid-Version samt kompletter Sensoren-Bestückung für vollautomatisiertes Fahren zugrunde. Mit dieser Studie, dem ESF 2019, präsentiert Mercedes mögliche neue Assistenzsysteme. Eines davon ist ein großflächiges Front-Display anstelle des Kühlergrills, das via Animation Signale, Warnungen und Botschaften aussenden kann – zum Beispiel eine Warnung vor Geisterfahrern. Oder Passanten signalisieren kann: „Ich habe dich wahrgenommen.“ Dazu gehört ein komplettes Rundum-Konvolut an Warn- und Signal-Vorrichtungen, auch auf dem Dach. Daraus erheben könnte sich ein Pannendreieck. Es ist nicht das einzige, das der Zukunfts-Stuttgarter an Bord hat: Er führt auch eins im Heck mit. Es ist ein Roboter, der sich im Pannenfall selbsttätig ausfährt und im richtigen Abstand platziert. Darüber hinaus sind in Entwicklung – im Hinblick auf voll automatisiertes Fahren: Gurtsysteme, die nicht in die B-Säule, sondern in die Sitze integriert sind, Fahrer-Airbags, die nicht ins (versenkbare) Lenkrad integriert sind, sondern ins Armaturenbrett, neue Luftsack-Varianten für Fond-Kindersitze etc. Ziel ist ein mobiler Sicherheits-Kokon, der laut Mercedes nicht auf blindem Technik-, sondern auf „informiertem“ Vertrauen basieren soll. (bkh)