Roter Teppich für Österreicherin Jessica Hausner in Cannes
Die 46-jährige Wienerin Jessica Hausner feiert heute mit ihrem Film „Little Joe“ Weltpremiere beim prestigeträchtigsten Festival der Filmwelt – und das als erste Österreicherin im Wettbewerb.
Cannes – Sie zählt seit langem zu den starken Frauen des österreichischen Films und ist seit 2017 Mitglied der Oscar-Akademie. Ihre Filme haben internationale Beachtung gefunden und etliche Preise gewonnen. Dennoch betritt die 46-jährige Wienerin Jessica Hausner heute Neuland: Der Weltpremiere ihres Films „Little Joe“ wird in Cannes der Rote Teppich ausgerollt – als erster Österreicherin im Wettbewerb.
Jessica Hausner wurde am 6. Oktober 1972 in Wien geboren. Sie wuchs in einem künstlerisch geprägten familiären Umfeld auf. Ihre Mutter Anne ist Malerin, ihr Vater war der Phantastische Realist Rudolf Hausner (1914-1995). „Er ist ein Vorbild, weil er immer das gemacht hat, von dem er geglaubt hat, dass er es tun muss. Obwohl er auch viele schlechte Zeiten durchgemacht hat und über 40 war, ehe er sein erstes Bild verkauft hat“, erzählte die Filmemacherin einmal in einem Interview. Ins Kino ging die Familie jedoch fast ebenso häufig wie ins Museum. Ihre Halbschwester Xenia wurde eine bekannte Malerin und Bühnenbildnerin, ihre Schwester Tanja Kostümbildnerin und eine von Jessica Hausners wichtigsten Arbeitspartnerinnen.
„Irgendwann Videokameria in die Hand genommen und Geschichten gefilmt“
Hausner kam über das Schreiben zum Filmemachen: „Irgendwann habe ich eine Videokamera in die Hand bekommen und meine Geschichten gefilmt. Dass das, was man sich ausgedacht hat, plötzlich vor den eigenen Augen abläuft, war ein unheimlich berauschendes Gefühl. Ab dem Moment war es für mich eigentlich klar.“ Sie studierte an der Wiener Filmakademie. Schon ihre erste Arbeit, der Kurzfilm „Flora“ (1996), der sich mit dem Erwachsenwerden beschäftigt, wurde in Locarno ausgezeichnet.
Mit ihrer Filmakademie-Abschlussarbeit, dem 45-Minuten-Streifen „Inter-View“, der auf halbdokumentarische Weise das Porträt eines jungen Mannes zeichnet, der unter dem Vorwand, Interviews über den Sinn des Lebens zu führen, Kontakt zu seinen Gesprächspartnern sucht, wurde sie 1999 in die Cannes-Nachwuchsschiene „Cinefondation“ eingeladen. „Ich habe das noch recht genau in Erinnerung, denn ich habe dort Philippe Bober kennengelernt, der seither den Weltvertrieb meiner Filme macht und auch ihr Koproduzent ist. Ich denke, dass er wesentlich daran beteiligt war, dass meine Filme international gezeigt wurden.“
1999 gründete sie mit den Studienkollegen Barbara Albert, Antonin Svoboda, Martin Gschlacht und Gilbert Petutschnig ihre eigene Filmproduktionsgesellschaft, die coop99 filmproduktion, die seither nicht nur Hausners Filme, sondern auch andere international erfolgreiche Streifen wie Hans Weingartners „Die fetten Jahre sind vorbei“, „Grbavica“ von Jasmila Zbanic oder „Toni Erdmann“ von Maren Ade (ko-)produziert hat.
Ihre zwei folgenden Filme präsentierte sie ebenfalls in Cannes, und zwar in der renommierten Reihe „Un Certain Regard“. 2001 zeigte sie ihr Spielfilmdebüt „Lovely Rita“. Der Film beschreibt, basierend auf einem wahren Fall, wie es dazu kommt, dass eine Jugendliche ohne offensichtliches Motiv ihre Eltern ermordet – eine beunruhigende, beeindruckende Studie über die alltägliche Beziehungslosigkeit.
„Little Joe“: Variation des Frankenstein-Themas
2004 war sie mit ihrem zweiten Kinospielfilm „Hotel“ vertreten, zu dem sie wie schon bei „Lovely Rita“ das Drehbuch selbst verfasste. Der Film erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die eine Arbeit als Rezeptionistin in einem renommierten Berghotel antritt und bald feststellen muss, dass ihre Vorgängerin auf mysteriöse Weise verschwunden ist. Neben Franziska Weisz in der Hauptrolle waren Birgit Minichmayr, Marlene Streeruwitz und Burkhard Klausner zu sehen. Der Film heimste 2005 nicht nur den Diagonale-Preis, sondern auch den Thomas-Pluch-Drehbuchpreis ein. Aber auch international war dieser Horrorfilm der anderen Art äußerst gefragt: „Hotel“ wurde auf Festivals in mehr als einem Dutzend Ländern gezeigt.
2009 gelang ihr mit „Lourdes“ in Venedig erstmals der Sprung in den Wettbewerb eines A-Filmfestivals. „Lourdes“ erzählt mit Schauspielern wie Sylvie Testud und Bruno Todeschini eine Passionsgeschichte, die Glauben an das Gute im Angesicht von Willkür und Vergänglichkeit einer harten Probe unterzieht.
Fünf Jahre später war Hausner sowohl in Venedig als auch in Cannes: Am Lido wurde sie in die Wettbewerbsjury berufen, in Cannes lief ihr Film „Amour Fou“, der später auch Eröffnungsfilm der Viennale wurde, wieder in der Sektion „Un Certain Regard“. Das strenge historische Kammerspiel dreht sich um den Dichter Heinrich von Kleist, der eine Partnerin „nicht für das Leben, sondern für das Sterben“ sucht und diese in seiner Geliebten Henriette Vogel findet. Der junge Schwärmer (Christian Friedel) und die Todgeweihte (Birte Schnöink) werden großteils gemäldegleich im Salon inszeniert, in dem über Kunst und Politik diskutiert und zeitgenössischem Gesang gelauscht wird.
„Little Joe“ ist nun Hausners fünfter Langfilm. Nach dem in Frankreich gedrehten „Lourdes“ ist er nun Hausners erster englischsprachiger Film – ein Abenteuer, auf das sich die Regisseurin, die sich gerne aus ihrem gewohnten Umfeld hinausbewegt, eingelassen hat, um die Essenz ihres Films in der Knappheit der Sprache besser vermitteln zu können. „Little Joe“ ist eine Variation des Frankenstein-Themas und ein Genrefilm-Mix aus Psychothriller und Science-Fiction.
Der Film handelt von der alleinerziehenden Gentechnikerin Alice (Emily Beecham). Sie hat eine rote Blume entwickelt, die schön aussieht, gut riecht und die Menschen bezaubert. Sie nennt sie „Little Joe“. Als sie jedoch die Pflanze ihrem Sohn schenkt, bemerkt sie an diesem bald irritierende Veränderungen, die sie nachdenklich stimmen. Ihr Film sei aber nicht als Warnung vor den Auswirkungen der Gentechnik zu verstehen, sagt Hausner: „Ich interessiere mich immer für die Vielschichtigkeit eines Themas.“
Der Film soll aber nicht nur künstliche Eingriffe in die Natur zum Thema haben, sondern auch in Farbgebung und Choreografie von Kamerafahrten und Bewegungsabläufen auf Künstlichkeit setzen. So streng das ästhetische Konzept des Films ist, an dem wieder Hausners langjährige Mitstreiter Martin Gschlacht (Kamera), Schwester Tanja Hausner (Kostüme) und Katharina Wöppermann (Ausstattung) mitgearbeitet haben, so augenzwinkernd ist ihr Umgang mit den Genre-Vorgaben: „Ich freue mich, wenn gelacht wird“, sagte sie in einem von der Austrian Film Commission veröffentlichten Interview kurz vor Festivalstart.
Eines hat Hausner schon vor der Premiere, die heute Nachmittag im Grand Theatre Lumiere des Festivalpalasts an der Croisette stattfindet, wahrgenommen: „Das Interesse von Verleihern und Journalisten ist massiv mehr als zu der Zeit, als meine Filme in ‚Un Certain Regard‘ liefen.“ Rot ist übrigens eine Farbe, die Jessica Hausner seit längerem in alle ihre Filme einbaut. Die purpurrote Protagonistin, die betörende und möglicherweise auch gefährliche Blume „Little Joe“, sollte daher besonders gut auf den Roten Teppich passen. (APA)