Rap, Opern-Arie, Metal-Klänge: Die Tops und Flops im ESC-Finale
Der diesjährige Eurovision Song Contest ist genretechnisch wieder breit aufgestellt. Die Bandbreite reicht von modernen Popsongs und dramatischen Balladen bis hin zu Operngesang, rauen Metal-Klängen und eigenartigem Kehlkopf-Rap. Es folgen elf optische und akustische Tops und Flops, über die sich streiten lässt.
1. SCHWEIZ
In zwölf Jahren hat die Schweiz nur zweimal den Sprung ins Finale geschafft, zuletzt 2014 in Kopenhagen. Jetzt hat es für unsere Nachbarn endlich wieder geklappt. Gerichtet hat es Luca Hänni (24), der 2012 als pickeliger 17-Jähriger bei Dieter Bohlens „DSDS" siegte. Dreitagebärtig und mit ärmellosem Shirt präsentiert er sich nun in Tel Aviv. Seine sehr zeitgemäße, R&B-beeinflusste Popnummer „She Got Me" schenkt ihm keine ruhige Sekunde — und vielleicht sogar den Sieg.
2. ISLAND
Etwas komplett anderes manövriert Island auf die ESC-Bühne. Die anti-kapitalistische Band Hatari ist ein dreiköpfiges Skurrilitätenkabinett, das in Sado-Maso-Fetisch-Kostümen auftritt. Klingt genauso, wie es aussieht — eine spannende Mischung aus Metal, Hardrock, hartem Antitext („Der Hass wird siegen") und mainstreamigerem Refrain, die auffällt und mit Sicherheit weit vorne landen wird.
3. DEUTSCHLAND
Mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit nicht weit vorne landen werden (wieder einmal und nach einem kurzen Intermezzo 2018) unsere deutschen Nachbarn, die es heuer mit einem improvisierten Schwestern-Duo versuchen. Darum gibt es auch nicht viel zu sagen, außer: Ohren zu und an die wunderschöne Vorjahresstimme von Michael Schulte denken.
4. NIEDERLANDE
Seit die Wettquoten für den diesjährigen Song Contest auf Schiene sind, führt er sie an: Duncan Laurence. Die Niederländer haben also gute Chancen, sich mit der stimmungsvollen Powerballade, die zwar emotional vorgetragen, allerdings mit wenigen Ecken und Kanten daherkommt, ihren fünften Sieg zu holen. Dass man sich auf die Prognosen der Tippspieler aber nicht immer verlassen kann bzw. sollte, wurde schon des öfteren bewiesen — etwa 2017, als Italien wochenlang an der Spitze rangierte, dann aber „nur" Sechster wurde.
5. ITALIEN
2017 Sechster, 2018 Fünfter und 2019 Vierter? Ja, das könnte sich für Italien heuer wirklich ausgehen. Der smarte Mahmood bringt mit „Soldi" einen soliden Elektro-Song in den Bewerb, die durchaus auch im Rapsektor angesiedelt ist. Gesanglich könnte er im Finale allerdings noch was rausholen, das „Smoothige" lässt die Nummer in der Live-Version etwas vermissen.
6. RUSSLAND
Vermisst haben eingefleischte ESC-Liebhaber sicherlich auch ihn: Sergey Lazarev, der 2016 schon einmal dabei war und haarscharf am Sieg vorbeischrammte. Mit völlig anderen Klängen — einer poetischen Ballade in typischer ESC-Dramaturgie — will er sich jetzt in Tel Aviv die Krone aufsetzen. Ganz unwahrscheinlich ist das nicht. Jedenfalls hatte sein Halbfinal-Auftritt nach 17 Stunden auf YouTube bereits 1,5 Millionen Aufrufe — schier abgeschlagen scheint da auf Platz zwei mit 670.000 Klicks der niederländische Beitrag.
7. AUSTRALIEN
Mehr sehens- als hörenswert ist das, was Australien in diesem Jahr verzapft. Down Under wagt sich in die luftigste aller Höhen — die auf einer meterhohen Stange schwankende Sängerin in Eisprinzessinnenrobe erweckt die Illusion, sie würde schwerelos über der Erde schweben. Aber nicht nur das Zuschauen macht schwindelig, auch den Ohren mutet man mit dem Mix aus Mozart, Oper und Pop-Song einiges zu. Ein episches Gesamtbild, das in ESC-Sphären sicherlich mit vielen Punkten belohnt wird.
8. NORWEGEN
„Typisch Song Contest" fällt einem unweigerlich auch beim norwegischen Beitrag ein. Echter, authentischer Eurotrash der alten Schule, der nicht vorgibt etwas anderes zu sein. Das Trio singt zudem im Joik-Stil, einer besonderen Gesangstechnik des nordischen Volkes der Samen. Alles sehr gewöhnungsbedürftig.
9. SAN MARINO
Das Mikroland an der Adriaküste muss sich wohl auch erst daran gewöhnen, nicht schon wieder am Weg in Richtung Heimat zu sein. Erst zum zehnten Mal nimmt San Marino heuer am ESC teil und nach 2014 ist es auch erst das zweite Mal, dass sie im Finale mit dabei sind. Der 54-jährige singende Zahnarzt Serhat zählt zu den Überraschungsaufsteigern des ersten Halbfinales. Der Songtitel „Say Na, Na, Na" bleibt aber trotzdem Programm: Nein, nein, nein, das wird nix.
10. MALTA
Weniger überraschend war ihr Weiterkommen: Michela aus Malta bekam am Donnerstag das letzte Finalticket, darf die Show am Samstag aber eröffnen. Und da wird gewiss gleich gute Stimmung aufkommen, präsentiert sie mit „Chameleon" doch zeitgenössischen, schwungvollen R&B-Pop im Ariana-Grande-Styling.
11. FRANKREICH
Bilal Hassani heißt der junge Mann, der in einigen Medien als „französische Conchita Wurst" tituliert wird. Der sympathische 19-Jährige Kandidat überzeugt vor allem durch seine Persönlichkeit als offen schwuler, marokkanischstämmiger Sänger im feminien Look — wofür er sich in seiner Heimat einer Welle von rassistischen und homophoben Angriffen ausgesetzt sah. „Ich bin ich, und ich werde es immer bleiben", singt er in seinem Wettbewerbslied „Roi" („König") selbstbewusst. Das kommt an.