Blick von Außen

Faktenbefreite Politik

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Wenn es nur noch um Stimmungen geht, kann es keine Problemlösungen mehr geben.

Von Johannes Huber

Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) ist kein Politiker. Irgendetwas Beliebiges so überzeugend formulieren, dass es alle glauben, kann er nicht. Zur Wiedereinführung von Ziffernnoten an Volksschulen gestand er denn auch, dass es keine wissenschaftliche Fundierung dafür gebe. Sprich: Die Noten kommen, weil es sein muss. Ganz einfach. Vollkommen faktenbefreit, sozusagen.

Mit seiner Offenheit ist der Bildungsminister fast schon eine Ausnahmeerscheinung. Andere Regierungsmitglieder konzentrieren sich darauf zu tun, was gewissen Stimmungslagen entspricht. Und weil ihnen das in der Regel von vornherein bewusst ist, sorgen sie bisweilen dafür, dass Fakten, die Entscheidungen begründen könnten, gar nicht erst aufkommen. Doch eines nach dem anderen.

Wenig Faktenlieferanten

Zur jüngsten Sexualstrafrechtsverschärfung hatte es eine „Task Force“ gegeben, die unter Einbindung von Experten konkrete Maßnahmen entwickeln sollte. Die Fachleute wurden jedoch nicht weiter gehört, sodass sie das Ergebnis hinterher umso mehr zerpflückten. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) gefiel das gar nicht. Also twitterte er: „Ich habe absolut kein Verständnis, wenn nun Experten diese #Verschärfungen kritisieren. Die #Bundesregierung und ich stehen auf der Seite der vielen #Opfer. Wer sich an #Frauen und #Kindern vergeht, hat keine Milde, sondern harte Strafe verdient.“ Das heißt ungefähr so viel wie dies: Wer gegen Verschärfungen ist, schützt Täter. Ist das aber auch wirklich der Fall?

Experten zufolge gibt es sehr gute Gründe, mit Augenmaß vorzugehen. Besonders Missbrauch und Vergewaltigung ereignen sich häufig im Bekannten- und Verwandtenkreis. Da kann es für ein Opfer eine beträchtliche Hürde darstellen, zur Anzeige zu schreiten. Wer will schon dazu beitragen, dass ein Angehöriger eingesperrt wird? Werden Strafen verschärft, steigt diese Hemmschwelle, sodass immer mehr Täter ungeschoren davonkommen könnten. Das ist ein Hinweis, den man gerade auch im Sinne der Opfer ernst nehmen und nicht so mir nichts, dir nichts vom Tisch wischen sollte. Es klingt zu plausibel.

Das Schlimme ist: Faktenlieferanten gibt es im kleinen Österreich nicht allzu viele. Zu den wichtigsten zählt die Statistik Austria. Auf ihrer Internetseite sind alle möglichen Daten sowie Analysen zu gesellschaftlichen Problemen und Herausforderungen frei zugänglich. Zu „Betreuung und Pflege im Alter“ genauso wie zu Armut oder zur „Vererbung von Bildungschancen“ von Eltern auf ihre Kinder.

Und dann Message Control

Das sind wichtige Elemente zur Meinungs- und Entscheidungsfindung. Und zwar für alle. Umso alarmierender sind die jüngsten Berichte über Kürzungen bei der Statistik Austria und die Absicht, die Regierungskontrolle über diese Einrichtung auszuweiten. Was offiziell zwar zurückgewiesen wird. Wenn zum Beispiel aber die Presseabteilung stark verkleinert wird, ist allein das schon ein Beitrag zur Stärkung der „Message Control“ durch die Regierung; aus der Statistik Austria werden unter diesen Umständen jedenfalls weniger Informationen kommen.

Zu oft fehlen Fakten schon heute. Wenn Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) meint, dass eine „Sicherungshaft für gefährliche Asylwerber“ nötig sei, ist es eine Herausforderung, dagegen zu argumentieren, sofern man eine solche Präventivhaft nicht grundsätzlich ablehnt. Für eine rechtliche Beurteilung ist der Begriff „gefährlich“ viel zu schwammig. Im Übrigen mangelt es eben an Fakten.

Anlass zu Kickls Vorstoß war ein grausamer Mord an der BH Dornbirn (Vorarlberg): Ein türkischer Staatsbürger hatte den Chef der Sozialabteilung erstochen. Der Mann war amtsbekannt. Er hatte in Österreich mehrere Verurteilungen ausgefasst, ehe er mit einem Aufenthaltsverbot belegt wurde. Bei seiner Rückkehr beantragte er nun Asyl und schritt zur Tat.

Ängste und Gefühle

Personen wie ihn will der Innenminister in Sicherungshaft nehmen. Allein: Worauf stützt sich die Annahme, dass ausschließlich Flüchtlinge gefährlich sind? Wäre es dieser eine Mann ohne Asylantrag nicht gewesen? Wie soll festgestellt werden, dass eine Person eines Tages ein schweres Verbrechen begehen dürfte? Wie groß muss die Wahrscheinlichkeit sein? Und so weiter und so fort.

Allein die vielen Fragen ohne Antwort zeigen, wie faktenbefreit Politik sei kann. Und das wiederum ist sie, weil es ihr offensichtlich um etwas ganz anderes geht: Ängste, Gefühle und Stimmungen sollen bedient werden. Von Asylwerbern soll demnach größte Gefahr ausgehen; einzig bei ihnen sollen folglich Maßnahmen wie die Sicherungshaft ergriffen werden, die mit dem Rechtsstaat nur schwer zu vereinbaren sind, sofern das überhaupt möglich ist.

Denkt man das weiter, kommt man zwangsläufig zum Schluss, dass es hier nicht um Problemlösungen geht. Sonst würde Kickl Fakten, Expertisen und noch einmal Fakten und ebenso viele Expertisen präsentieren. Er zieht es jedoch vor, darauf zu verzichten. Also muss befürchtet werden, dass es weiterhin zu viele Morde gibt.

Der Innenminister ist nicht allein. Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) tickt ähnlich. Instanzen wie der Rechnungshof mögen darauf hinweisen, dass die eine Milliarde Euro an Einsparungen, die die Zusammenlegung der Sozialversicherungen 2020 bis 2023 bringen soll, nicht nachvollziehbar ist. Hartinger-Klein, die dafür verantwortlich ist, bleibt dabei und liefert eine Rechnung, die das bestätigen soll: „Ausgehend von der Annahme einer linear ansteigenden Einsparung von 30 Prozent der Personal- und Sachaufwendungen ist diese Summe in diesem Zeitraum erreichbar“, erklärt sie.

Theoretisch ist diese Aussage der Ministerin schlüssig. Sinnvoll ist sie jedoch erst dann, wenn Hartinger-Klein präzise erläutert, wie das Sozialversicherungswesen zu viel weniger Mitarbeitern kommen und dann weiterhin funktionieren soll.

Oder bei der Mindestsicherung. Die Sozialministerin meint etwa, dass die Kürzung und Umwandlung in eine Sozialhilfe notwendig sei, damit sich niemand mehr ausruht in der sozialen Hängematte und sich Arbeit wieder lohne. Das ist ein schwerwiegender Vorwurf: Viele Menschen haben es sich demnach bisher gemütlich gemacht mit ein paar hundert Euro im Monat. Ist das wirklich so? Sehr wahrscheinlich ist es falsch: Gängige Praxis in den Ländern ist es, Mindestsicherungsbezieher mit Auflagen zu versehen. Sie müssen sich weiterbilden und bewerben und regelmäßig Nachweise dafür liefern. Tun sie das nicht, gibt es Kürzungen. Zugegeben: Eine genauere Untersuchung für alle Länder dazu fehlt. Genau das wäre jedoch Voraussetzung für eine lösungsorientierte Mindestsicherungsreform gewesen. So handelt es sich nur um eine Böswilligkeit.

Was heißt hier Realität?

In die Zuständigkeit der Ministerin fällt auch diese Form der Faktenlosigkeit: Realitätsverweigerung nach dem Prinzip „Aus den Augen, aus dem Sinn“. Konkret: Hartinger-Klein bleibt die Konstituierung einer Alterssicherungskommission schuldig, die es laut Gesetz schon seit mehr als zwei Jahren geben müsste. Ihre Aufgabe wäre es, darauf zu achten, wie sich das Pensionssystem entwickelt, damit Hartinger-Klein als Sozialministerin früh genug gewarnt ist, wenn wieder einmal etwas zu tun wäre.

Ohne Alterssicherungskommission bleibt ihr das erspart. Für sie selbst mag das sehr angenehm sein. Für die Allgemeinheit wächst es sich jedoch zu einer veritablen Krise aus, wenn erforderliche Pensionsreformen allzu lange ausbleiben.