EU-Wahl - Mehrheiten im Europaparlament werden schwieriger
Brüssel (APA) - Mehrheiten zu bilden, wird künftig schwieriger in Europa: Erstmals in der Geschichte verfügen die beiden traditionellen Volk...
Brüssel (APA) - Mehrheiten zu bilden, wird künftig schwieriger in Europa: Erstmals in der Geschichte verfügen die beiden traditionellen Volksparteien EVP und Sozialdemokraten (S&D) nach der EU-Wahl in der EU-Volksvertretung über keine Mehrheit mehr. Trotz leichter Zugewinne der Rechten und EU-Kritiker ist weiter eine deutlich pro-europäische Mehrheit vorhanden.
Die erste unmittelbare Auswirkung dieser neuen Konstellation dürfte bereits in den kommenden Tagen der EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber zu spüren bekommen. Seine Fraktion liegt laut Prognosen deutlich vor den Sozialdemokraten, doch diese haben noch in der Wahlnacht klargemacht, dass sie ihren Kandidaten Frans Timmermans zum Nachfolger von Jean-Claude Juncker an der Spitze der EU-Kommission machen wollen. „Die EVP hat weder die Resultate noch die Stärke, Europa zu führen“, sagte Fraktionschef Udo Bullmann, obwohl dessen SPD in Deutschland abgestürzt ist.
Königsmacher in Europa dürften die Liberalen (ALDE) werden, die sich mit der französischen Präsidentschaftspartei En Marche zusammenschließen wollen und so ihre Sitze von derzeit 69 auf über 100 ausbauen dürften. Liberalen-Chef Guy Verhofstadt ließ offen, wen seine Gruppierung für das Amt des nächsten Kommissionschefs unterstützen wird. „Europe is back“, verbreitete Verhofstadt Optimismus. Auch die Grünen haben sich verbessert - von bisher 52 auf rund 70 - dies macht auch sie zu einem potenziellen Mehrheitsbeschaffer im nächsten Europaparlament.
Die Fraktionen rechts der Mitte bleiben hingen fragmentiert: Vizepräsident der konservativen Fraktion „Europäische Konservative und Reformer“ (EKR), Hans Olaf Henkel, sagte, seine Gruppe werde keine Extremisten aufnehmen, um größer zu werden. Die - derzeit aus der EVP suspendierte - ungarische Regierungspartei Fidesz wäre aber „ein potenzieller Kandidat“ und dürfe nicht ins rechtsextreme Lager gestellt werden. Auch dies könnte tendenziell Weber schwächen, denn aus heutiger Sicht scheint fraglich, ob die Partei von Premier Viktor Orban je wieder in die Europäische Volkspartei zurückkehrt.
Wie immer die Mehrheiten in dem nächsten, stärker fraktionierten Europaparlament zusammengesetzt sind: Die Demokratie zählt zu den größten Gewinnern dieser EU-Wahl. Erstmals seit der ersten Direktwahl 1979 wurde der Negativtrend durchbrochen und die Wahlbeteiligung stieg laut Schätzungen auf über 50 Prozent. In fast allen EU-Staaten gingen mehr Wähler an die Urnen als 2014 - von Politikverdrossenheit und Europa-Müdigkeit also keine Spur.
Dabei dürfte die Europawahl auch im Europäischen Rat - dem Gremium der europäischen Staats- und Regierungschefs - Auswirkungen haben. Wie erwartet wurde Marine Le Pens rechte Sammelbewegung „Rassemblement National“ in Frankreich Erste, sie setzt damit Präsident Emmanuel Macron weiter unter Druck. In Deutschland sind die Verluste für die Union und SPD eine Bürde für die Große Koalition. In Griechenland verpassten die Konservativen dem linken Regierungschef Alexis Tsipras eine Niederlage.
Wie es in Österreich weitergeht, wird sich bereits am Montag zeigen, wenn im Parlament über einen Misstrauensantrag gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) entschieden wird, bevor am Dienstagabend erstmals nach der EU-Wahl die Staats- und Regierungschefs in Brüssel über die bevorstehenden Personalentscheidungen beraten.
„Die FPÖ wurde definitiv von ‚Ibizagate‘ getroffen - kein Zweifel“, meinte der EU-Experte Janis Emmanouilidis von der Brüsseler Denkfabrik „European Policy Centre“ (EPC) in Brüssel. Von den FPÖ-Verlusten habe Bundeskanzler Sebastian Kurz und seine ÖVP profitiert.