EU-Experte Maurer: „Es wird Streit in der EVP geben“
Der EU-Experte Andreas Maurer von der Uni Innsbruck erwartet nach der EU-Wahl vom Sonntag, dass die stärkere Zersplitterung das EU-Parlament schwächt.
Was ist für Sie die größte Überraschung bei dieser Europawahl?
Andreas Maurer: Die hohe Wahlbeteiligung. Sie kommt zwei Gruppen zugute: Einerseits – das war zu erwarten – den rechtsextremen und antieuropäischen Parteien. Andererseits – und das ist für mich der große Überraschungseffekt – den grünen und kleinen progressiven Parteien. Sie konnten Nutzen ziehen aus den sozialen Bewegungen der letzten Wochen, vor allem „Fridays for Future“. Jugendliche gehen tatsächlich wählen, wenn sie der Ansicht sind, dass diese Wahl für sie entscheidend ist.
Die Europäische Volkspartei (EVP) und die Sozialdemokraten haben ihre gemeinsame Mehrheit verloren. Was bedeutet das für das Machtgefüge in Brüssel?
Maurer: Es wird dazu führen, dass das Europäische Parlament im Dreieck mit Kommission und Rat (der nationalen Regierungen, Anm.) als Akteur verlieren wird. Weil es nicht mehr so geschlossen und mit großen Inhalten auftreten kann, wie wir das bisher gekannt haben. Die Mehrheiten werden so knapp sein, dass der Rat die Parlamentsposition zerstückeln kann. Wenn die Mehrheit bei gerade zehn Abgeordneten liegt, weiß der Rat ganz genau, welche Abgeordneten er auf seine Seite ziehen muss.
Ist es zu dem Rechtsruck gekommen, den viele Proeuropäer befürchtet hatten?
Maurer: Es wurde behauptet, die Rechtsradikalen und die Antieuropäer würden zur drittstärksten Fraktion aufsteigen. Das war von Anfang an Blödsinn. Allem Anschein nach werden sie nach den Liberalen die viertstärkste Fraktion bilden. Damit haben sie Ansprüche, etwa auf die Nominierung von Vorsitzenden in einigen Ausschüssen. Damit können sie die Agenda des EU-Parlaments aufmischen.
Werden die anderen Fraktionen die Rechtsparteien weiterhin ausschließen, oder kann es auch zu Kooperationen kommen?
Maurer: Darüber wird es auf jeden Fall Streit innerhalb der christdemokratischen Familie geben. Personen wie Kanzler Sebastian Kurz oder der EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber spielen ja durchaus mit dem Gedanken, sich gegenüber den rechtsnationalen Gruppierungen zu öffnen. Der erste Lackmus-Test, an dem man das beobachten wird, ist die Frage, wie man mit dem ungarischen Premier Viktor Orbán umgeht. Das kann dazu führen, dass die Christdemokraten sich spalten und die EVP auseinanderfällt.
Das Gespräch führte Floo Weißmann