Bischof Erwin Kräutler: „Es war wie ein Stich ins Herz“
Bischof Erwin Kräutler, Träger des „Alternativen Nobelpreises“, sprach mit der TT über Umweltproteste, die Angst um die Zukunft und den Raubbau an Brasiliens Regenwäldern.
Innsbruck – Vor mehr als drei Jahren ist Erwin Kräutler als Bischof von Xingu, einer riesigen Diözese im Norden Brasiliens im Amazonas-Gebiet, altersbedingt zurückgetreten. Viele Jahrzehnte setzte sich der gebürtige Vorarlberger für den Erhalt des Regenwaldes und die Rechte der indigenen Bevölkerung ein. Der 79-Jährige wurde dafür vielfach ausgezeichnet – unter anderem mit dem „Right Livelihood Award“, der auch als „Alternativer Nobelpreis“ bezeichnet wird. Am Rande eines Vortrags in Innsbruck hat ihn die TT zum Gespräch getroffen.
Herr Kräutler, am Freitag, den 15. März, sind über 1,7 Millionen vorwiegend junge Menschen für die „Fridays for Future“-Bewegung auf die Straße gegangen. Erfreut?
Erwin Kräutler: Darüber bin ich sehr glücklich. Auch über Greta Thunberg (schwedische Wortführerin der Bewegung, Anm.), da sie die Initiative ergriffen hat, das weltweit zu verbreiten. Sie konnte eine nachvollziehbare Angst plausibel vermitteln. Dass die Jugendlichen jetzt aufstehen, weil sie sich Sorgen um ihre Zukunft machen, ist für mich ein Erfolgserlebnis.
Warum?
Kräutler: Seit Jahrzehnten machen ich und andere brasilianische Bischöfe auf Brandrodung und Umweltverschmutzung aufmerksam, haben aber kaum ein Echo erhalten. Und auf einmal gehen die jungen Leute auf die Straße und applaudieren, wenn die kleine Greta spricht. Sie verstehen, dass sie das Leid zu tragen haben, das derzeit angerichtet wird, und dass jene, die heute politisch oder wirtschaftlich das Sagen haben, schon längst in Pension oder tot sind, wenn die Folgen ihres Tuns spürbar werden.
Wieso hat es so lange gedauert, dass das Thema Umweltschutz in den Vordergrund rückt?
Kräutler: Die Jugend hat realisiert, dass sie ihre Zukunft schon in der Gegenwart gestalten muss. Man sollte auf ihre Ängste eingehen. Wir, die Alten, können nicht so tun, als würde uns das nichts angehen. Das ist einfach verantwortungslos.
Sorgen Sie sich, dass dieser Protest, wie viele andere vor ihm, im Sand verlaufen könnte?
Kräutler: Das kann er nicht mehr. Man spürt doch, was los ist. Auch die Kirche muss mehr darauf hinweisen, darf nicht sagen, dass es nicht ihre Angelegenheit ist. Wir glauben ja daran, dass Gott unsere Umwelt, die ich selber lieber Mitwelt nenne, erschaffen hat. Und er hat uns den Auftrag gegeben, darauf zu schauen, uns darum zu bemühen.
Das heißt?
Kräutler: Die Menschen haben von Gott den Auftrag, die Mitwelt zu hegen und zu pflegen. Und pflegen tut man mit Liebe. Es geht nicht darum, was man aus der Welt rausholen kann.
Welchen Beitrag kann die Kirche hier leisten?
Kräutler: Sie kann den Menschen vermitteln, dass sie sich dafür einsetzen und das schützen müssen, was ihnen Gott gegeben hat.
Quasi eine bewusstseinsbildende Funktion ...
Kräutler: Öffentlichkeitsarbeit, ja. Vermitteln, dass es die gottgegebene Aufgabe eines jeden Menschen ist, für die Mitwelt einzutreten. Ihnen ins Gewissen reden.
Seit Anfang des Jahres hat Brasilien mit Jair Bolsonaro einen neuen Präsidenten. Er ist nicht gerade als glühender Umweltschützer bekannt.
Kräutler: Die Situation in Brasilien ist für mich derzeit untragbar. Bevor Bolsonaro überhaupt sein Amt übernommen hat, kündigte er an, Amazonien für multinationale Bergbau- und Holzkonzerne öffnen zu wollen. Das war wie ein Stich ins Herz.
Weil?
Kräutler: Sie kommen, um Gold und mehr aus dem Boden zu holen, und lassen uns in Brasilien eine vergiftete Umwelt zurück. Die interessieren sich keinen Deut dafür, was das für Folgen hat.
Gibt es Widerstand im Land?
Kräutler: NGOs wie Greenpeace gehen auf die Barrikaden, Studenten demonstrieren. Und auch die Kirche wehrt sich, mit ihnen zusammen. Es geht um Leben und Tod. Was Bolsonaro macht, können wir nicht hinnehmen.
Wie kann sich das ändern?
Kräutler: Der Präsident betreibt eine für die heimischen Firmen sehr ungünstige Politik. Deshalb verliert er auch nach und nach den Rückhalt der mächtigen Großgrundbesitzer. Ich glaube, er wird die Amtszeit nicht überstehen.
Das Gespräch führte Benedikt Mair