Kern auf Distanz zu Rendi-Wagner: „Hoch gewinnt SPÖ nimmer“
Ex-Kanzler Christian Kern hat zu seiner Nachfolgerin kaum Kontakt. Dass seine Parteireformen revidiert worden sind, bedauert er. Und wie sieht er die Wahlchance?
Tut es Ihnen im Nachhinein leid, dass Sie als Oppositionsführer so schnell aufgegeben haben?
Christian Kern: Leid tut es mir nicht. Es war von mir damals eine persönliche Entscheidung. Meine Zukunft liegt in der Wirtschaft. Aber natürlich wäre die Ausgangsposition sehr reizvoll. Das hat nicht nur mit dem Scheitern von Schwarz-Blau zu tun, sondern auch damit, dass das Migrationsthema nicht mehr ein so zentrales Thema ist.
Sie wollten Pamela Rendi-Wagner als Nachfolgerin an der SPÖ-Spitze. Das wurde sie. War das die richtige Entscheidung?
Kern: Absolut. Mein Ziel ist es immer gewesen, dass die SPÖ im linken und liberalen Spektrum der Gesellschaft die bestimmende Kraft ist. Für mich war zudem immer klar, dass die SPÖ stimmenstärkste Partei werden muss, um die Chance haben zu können, den Bundeskanzler zu stellen. Meine Strategie zielte daher auf eine Van der Bellen-Koalition ab. Aus dieser Überlegung heraus sind die Parteireform (mit der Begrenzung der Mandatszeit), die Erweiterung der Mitbestimmung der Parteibasis zu Lasten der Funktionäre und der „Plan A“ entstanden. Ich wollte nicht einer altvaterischen SPÖ vorstehen, die sich selbst genügt.
Ihre Reformansätze wurden damals von Hans Peter Doskozil als links-grüne Fundipolitik qualifiziert.
Kern: Heute weiß jeder, dass sie richtig waren – Stichwort Greta Thunberg. Und ich denke auch, Rendi-Wagner könnte für diesen Weg die richtige Repräsentantin sein.
Das klingt zögerlich. Vieles von Ihrem Weg ist nicht mehr übrig.
Kern: Es wurden einige Entscheidungen zurückgenommen. Ich weiß auch, dass es in der Partei ein traditionellere Strömung gibt, die das so nicht wollte. Die die Begrenzung der Funktionsperiode auf zehn Jahre nicht wollte, der der „Plan A“ zu weit weg von der traditionellen Parteilinie war. Aber die SPÖ braucht die Leidenschaft der Idealisten. Ein Pensionssicherungsverein für die Parteielite wird genau niemanden überzeugen.
Was sollte sich dahingehend ändern?
Kern: Wer glaubt, die SPÖ muss wieder die große Arbeiterpartei werden, der verkennt die Realität. Die SPÖ muss meines Erachtens die bestimmende links-liberale Kraft sein, denn das Rechts-Spektrum ist mit der ÖVP von Kurz und der FPÖ mehr als besetzt. Ich glaube, die SPÖ kann jene Wähler ansprechen, die auch Van der Bellen zum Bundespräsidenten gewählt haben. Da meine ich explizit auch die aufgeklärten bürgerlich-katholischen ÖVP-Wähler, die sich von Sebastian Kurz abgewendet haben.
Kommen wir zum Ibiza-Video. Sie haben wegen einer auf diesem dokumentierten Aussage von Heinz-Christian Strache über Sie eine Klage gegen ihn – wegen Verleumdung – angekündigt. Habe Sie diese mittlerweile eingebracht?
Kern: Ja. Irgendwann ist Schluss mit lustig. Meine Anwälte sind sehr siegessicher.
Eine der Folgen des Videos war, dass die SPÖ der Regierung Kurz das Misstrauen ausgesprochen hat. War das die richtige Reaktion?
Kern: Eindeutig. Diese Regierung stand für all das, was aus SPÖ-Sicht der falsche Weg ist. Keine Unterstützung für Ältere am Arbeitsmarkt, eine Null-Klimapolitik, Schulpolitik aus den 60ern und ein Rekord an Staatsausgaben für die eigene Propagandamaschine. Ohne dieses Misstrauen hätte eine ÖVP-Alleinregierung ihre rückwärtsgewandte Politik monatelang fortführen können.
Laut Umfragen goutiert die Mehrheit der Bürger die Abwahl der Regierung nicht.
Kern: Wichtig ist, dass man seine Entscheidungen gut erklärt.
Dies ist der SPÖ im konkreten Fall nicht gelungen.
Kern: Natürlich war der Auftritt der Parteigranden in finsterer Nacht optisch misslungen. Aber es geht doch um die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Da ist es doch irrelevant, ob eine Pressekonferenz gut ausgeleuchtet ist oder nicht. Was Kurz geliefert hat, waren Machtspielchen. Schon in meiner Regierung und jetzt erst recht. Die Regierung ist ja in Wahrheit nicht wegen dem Skandal-Video gescheitert, sondern weil Kurz um das Innenministerium gepokert hat. Und dabei an der FPÖ abgeprallt ist. Die ÖVP regiert seit 33 Jahren ohne Unterbrechung und hat es geschafft, den Stillstand zu beklagen. Und ich kann Ihnen keine einzige Reform in den letzten Monaten benennen, die unser Land stärker oder gerechter gemacht hat.
Bei der SPÖ ist keine Grunderzählung erkennbar.
Kern: Das stimmt. Die ÖVP kann bessere Geschichten erzählen, auch wenn sie nicht stimmen. Die SPÖ hat die Chance, zu zeigen, was die Alternative sein kann, zum Stahlgewitter aus PR-Texten und Marketing. Die Steuer- und Abgabequote, die Arbeitslosenquote ist unter meiner Regierung deutlich schneller gesunken als unter der Regierung Kurz. Wir haben in Chancengleichheit in Schule und Arbeitsmarkt, in Infrastruktur, Forschung und Startups investiert. Der ÖVP-Obmann nannte Kern/Mitterlehner aber immer Stillstandskoalition, obwohl er ein Teil davon war. Und er hatte dabei seine Handlanger, die das so sehen wollten. Kurz’ rechtspopulistische Regierung ist jahrelang herbeigeschrieben worden. Bis heute kann er sich auf Krone und Österreich verlassen..
Wohlwollende erkennen in Rendi-Wagner den personifizierten Gegenentwurf zu Kurz, Kritik wird aber am Parteimangement geübt.
Kern: Jeder Vorsitzende arbeitet mit den Leuten zusammen, die er sich aussucht.
Ist Ex-Minister Thomas Drozda der richtige Bundesgeschäftsführer?
Kern: Rendi-Wagner hat ihn ausgewählt. Damit ist er der Richtige.
Sie hatten sich Max Lercher ausgesucht.
Kern: Aus gutem Grund. Weil wir gemeinsame die Breite der Partei abgedeckt haben.
Wann haben Sie das letzte Mal mit Rendi-Wagner gesprochen?
Kern: Bei der Amtsübergabe.
Sie haben also keinen Kontakt mehr?
Kern: Gelegentlich ein Sms.
Rendi-Wagner hat den Wiener Christian Deutsch, einen Vertrauten von Ex-SPÖ-Chef Faymann und Bürgermeister Ludwig zum Wahlkampfmanager ernannt. Eine gute Wahl?
Kern: Die Vorsitzende wird ihre Überlegungen haben. Auch wenn sie sich nicht jedem auf Anhieb erschließen.
Rendi-Wagner erklärt die Diskussion um ihre Person und ihre Personalentscheidungen damit, dass sie eine Frau ist.
Kern: Das ist mir zu einfach. Personalentscheidungen sorgen immer für Diskussionen.
Was braucht die Sozialdemokratie?
Kern: Die Sozialdemokratie kann nur dann funktionieren, wenn sie ein Abenteuer ist. Inhaltlich spannend, attraktive Personen, Menschen, die brennen für ihre Überzeugung. Aufbauend auf unseren Grundsätzen. Sozialdemokraten haben in Österreich einen der reichsten und sozialsten Staaten der Welt mitgebaut. Wir sind keine geborene Opposition. Wie wir das in Zukunft tun wollen, ist die Frage schlechthin. Der „Plan A“ zielte darauf ab. Stehsätze alleine reichen nicht, auch wenn vielleicht wenige einen 200 Seiten-Plan lesen.
Was bedeutet dies alles für die Nationalratswahl?
Kern: Es wird eine echte Herausforderung. Kurz macht in seiner Inszenierung nicht viele Fehler, aber es geht ihm vor allem um Machterhalt. Ich erinnere an die Aussage des Bundespräsidenten: Es kann nicht gut gehen, wenn man glaubt, nur dann mit Menschen zu reden, wenn es für das Machtkalkül nötig ist. Diese Haltung führte auch zu seinem Sturz.
Sehen Sie also eine Chance für die SPÖ auf Platz 1?
Kern: Frei nach Fußballlegende Toni Pfeffer: „Hoch gewinnt die SPÖ das nimmer.“ Aber das Potenzial ist höher, als Umfragen zeigen. Ich wäre aber nicht überrascht, wenn ÖVP und FPÖ wieder eine Regierung bilden, wenn sie dafür eine Mehrheit haben.
Haben Sie das Buch von Ex-ÖVP-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner gelesen? Wenn ja, hat Sie etwas überrascht?
Kern: Ich habe ihn gefagt, warum er so vornehm war. Mir sind da noch einige saftige Anekdoten in Erinnerung. Aber ich kann Sie beruhigen: Ich schreibe kein Buch.
Politik ist also Geschichte?
Kern: Ich bleibe natürlich ein politischer Mensch, durch die vielen Auslandsaufenthalte verfolge ich aber nicht mehr jede Wendung.
Was machen Sie konkret?
Kern: Wir entwickeln und investieren in Unternehmen.
„Wir“ ist wer?
Kern: „Wir“ ist Blue Minds, die Firma, in der meine Frau und ich 55 Prozent der Anteile halten. An dieser Form sind auch Hans Peter Haselsteiner und Ex-Verbund Manager Bernhard Raberger beteiligt. Wir investieren in Firmen, die sich mit Energiefragen und Mobilität beschäftigen. Wir haben ein Portfolio von 12 Firmen, an denen wir beteiligt sind. Ich übe auch Mandate in Boards von Unternehmen in Israel oder in Russland aus, etwa bei der russischen Bahn – eine sehr spannende Firma mit 800.000 Mitarbeitern. In China bin ich als Präsident der Austria Chinese Business Association tätig. Mein Aktionsradius ist zu 90 Prozent außerhalb von Österreich.
Wie bilanzieren Sie ihre Aktivitäten in der Wirtschaft?
Kern: Meine Einkommensverhältnisse haben sich nicht verschlechtert.
Sehen Sie sich als Lobbyist?
Kern: Nein, ich würde auch kein diesbezügliches Mandat annehmen.
Auch nicht als Berater?
Kern: Ich habe jetzt zwei Beraterfunktionen bei Firmen im Energiebereich übernommen. Eine befindet sich in Großbritannien, eine in Deutschland. Aber das ist nicht mein Geschäftsmodell.
Das Gespräch führten Karin Leitner und Michael Sprenger