Zwei Mrd. Euro würden die Kinderarmut in Österreich besiegen

Mit einem Aufwand von zwei Milliarden Euro könnte die Kinderarmut in Österreich zu zwei Drittel beseitigt werden. Ein einfach strukturiertes Unterstützungsprogramm würde nur rund 400 bis 500 Millionen Euro mehr kosten als Familienbonus & Co., sagte Montagabend bei einem Hintergrundgespräch von Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres der Bundesgeschäftsführer der Volkshilfe, Erich Fenninger.

„Es gibt noch immer 1,5 Millionen armutsgefährdete Österreicher, davon knapp 400.000 Kinder und Jugendliche bis zum Alter von 19 Jahren. Die Lebenserwartung zwischen den ‚armen‘ Bezirken und den ‚reichen‘ Bezirken in Wien mit den Trennlinien Donaukanal oder Donau unterscheidet sich um bis zu sieben Jahre“, wies Szekeres auf die auch nach Jahrzehnten Sozialpolitik aufrecht gebliebene Kluft in sozialer, gesundheitlicher und wirtschaftlicher Situation der Menschen hin. Aus eigener Erfahrung bei einer Tour des Wiener Ärztefunkdienstes wisse er: „Da kommt man in Wohnungen, die man sonst nicht kennt. Am ärmsten sind die alleinerziehenden Mütter mit mehreren Kindern.“

„Arm sind 14,4 Prozent der Erwachsenen, von den Kindern sind es 18 Prozent“, sagte ‚Fenninger. Insgesamt komme man auf rund 372.000 Kinder und Jugendliche in ausgesprochen schlechter sozialer Lage. Armut habe eine materielle Dimension (Wohnung, Kleidung, Ernährung), es komme aber auch auf andere Dimensionen an: Möglichkeit zur sozialen Teilhabe (z.B. Möglichkeit von Kindern für Freizeitaktivitäten in ihrer Gesellschaft), Bildungsbereich (die Pflichtschule bedeutet pro Jahr laut Fenninger eine Belastung zwischen 850 und 1.150 Euro zusätzlich für die Eltern) und Gesundheit. „Zwischen dem 1. Bezirk und dem 15. Bezirk in Wien gibt es einen Unterschied in der Lebenserwartung von vier Jahren“, sagte der Volkshilfe-Geschäftsführer.

„Binnen fünf Jahren könnte man die Kinderarmut in Österreich beseitigen“, sagte Fenninger. Das sei mit einem Aufwand insgesamt 625 Euro pro Monat für die armen Familien pro Kind zu bewerkstelligen, wie Fenninger betonte: „Rund 300 Euro für den materiellen Bereich, etwa 200 Euro für den Bereich Bildung, 95 Euro für die soziale Teilhabe und 30 Euro für Gesundheit.“ Für Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag werde jetzt schon viel ausgegeben, könne aber zum Teil von den wirklich Bedürftigen nicht „abgeholt“ werden.

Der Volkshilfe-Bundesgeschäftsführer sagte zum notwendigen Aufwand - bei Einrechnung von sonstigen Transferleistungen würden wohl rund weniger als 20.000 Haushalte pro Kind 425 Euro oder mehr aus dem Programm benötigen, bis zu 35.000 Haushalte würden von Einschleifregelungen mit geringeren Ausgleichszahlungen profitieren: „Das wären zwei Milliarden Euro im Vergleich zum Familienbonus von 1,5 bis 1,6 Milliarden Euro - und wir hätten keine Kinderarmut mehr.“ Das hätte auch große Auswirkungen für die Zukunft: Von den sozial am stärksten benachteiligten Kindern bekämen 50 Prozent mit bloßem Pflichtschulabschluss schlechte Jobs, die andere Hälfte gar keine.

Volkshilfe und Ärztekammer führen derzeit eine Umfrage unter den Ärzten nach sozialen Problemen von Familien mit Kindern durch. „Wir investieren viel zu wenig in die Prävention“, sagte Szekeres. Dies und mangelnde Aktivitäten zur Propagierung eines gesünderen Lebensstils würden sozial Benachteiligte besonders schädigen. Die Ärzte seien offen für soziale Fragen.