Bachmann-Preis: Katharina Schultens eröffnet den Lesereigen
Die deutsche Autorin Katharina Schultens eröffnet am Donnerstag um 10 Uhr Vormittag das Wettlesen um den 43. Bachmann-Preis. Das ergab am Mittwochabend die Auslosung der Lesereihenfolge, die im Rahmen der Eröffnung der 43. Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt vorgenommen wurde.
Am ersten Lesetag folgt mit Sarah Wipauer die erste Österreicherin (11 Uhr), im Anschluss lesen die Schweizerin Silvia Tschui (12 Uhr), die Kärntnerin Julia Jost (13.30 Uhr) sowie zum Abschluss des Lesetags die Schweizerin Andrea Gerstner (14.30 Uhr). Am Freitag eröffnet Yannic Han Biao Federer um 10 Uhr, gefolgt von Ronya Othmann um 11 Uhr und der Österreicherin Birgit Birnbacher um 12 Uhr. Der mit Spannung erwartete Jungautor Daniel Heitzler startet um 13.30 Uhr in die Nachmittags-Session, die um 14.30 Uhr Tom Kummer abschließt.
Am Samstag komplettieren schließlich die österreichischen Autoren Ines Birkhan (10 Uhr), Leander Fischer (11 Uhr) und Lukas Meschik (12.30 Uhr) das Feld der 14 Lesenden, das von dem deutschen Schriftsteller Martin Beyerum 13.30 Uhr abgeschlossen wird.
Musikalisch umrahmt von dem aus Armenien stammenden Pianisten Karen Asatrian und moderiert von Christian Ankowitsch bot die Eröffnungs-Veranstaltung das gewohnte Bild - von Politiker- und Veranstalter-Reden. Darunter die Klagenfurter Bürgermeisterin Maria-Luise Mathiaschitz (SPÖ), die die Gelegenheit gleich nützte, um Werbung für das Kunstprojekt „For Forest“ von Klaus Lithmann zu machen, das im Herbst im Wörthersee-Stadion realisiert wird.
Juryvorsitzender Hubert Winkels zog in seinen Eröffnungsworten, in der er auch von einem kürzlichen Besuch eines Gottesdienstes in der Klagenfurter Domkirche erzählte, eine klare Trennlinie zwischen immersiven Kunstformen wie dem Kino oder Computerspielen und der Literatur. Es werde zunehmend daran gearbeitet, „dass wir Teil der Maschine sind. Das nennt sich Immersion“, so Winkels. „Wir sind nicht mehr außerhalb des Kunstwerks, sondern Teil davon. Das ist die Antriebskraft für die Kunst in der westlichen Welt.“ Dazu habe jedoch die Literatur ein „kompliziertes Verhältnis“. „Sie arbeitet immer mit 26 Zeichen. Wir haben keine große räumliche Inszenierung zu bieten.“
„Wir suchen seit Jahren Texte aus, die keine unterhaltsame Immersion bieten“, so Winkels in Hinblick auf die Juryarbeit. „Sondern Literatur, die sich permanent in Frage stellt und ein reflexives Verhältnis zu sich selbst hat. Das geht weder in der Kirche noch im Kino.“
Am Sonntag werden von den sieben Juroren - darunter von heimischer Seite der in der Schweiz geborene „Standard“-Redakteur Stefan Gmünder und der Literaturwissenschafter und Leiter des Literaturhauses Graz, Klaus Kastberger - die Preise vergeben: der mit 25.000 Euro dotierte Bachmann-Preis, der Deutschlandfunk-Preis (12.500 Euro), der Kelag-Preis (10.000 Euro) sowie der 3sat-Preis (7.500 Euro). Das Publikum bestimmt via Internet, wer den mit 7.000 Euro dotierten BKS-Bank-Publikumspreis mit nach Hause nimmt. Im Vorjahr gewann Tanja Maljartschuk den Ingeborg-Bachmann-Preis.
Die „Klagenfurter Rede zur Literatur“, heuer zum 20. Mal Bestandteil der Eröffnung der Tage der deutschsprachigen Literatur, hielt am Mittwochabend im ORF-Theater der 36-jährige Autor Clemens J. Setz. Der Grazer, der 2008 in Klagenfurt mit dem Ernst-Willner-Preis ausgezeichnet wurde, verhandelte unter dem Titel „Kayfabe und Literatur“ die Zusammenhänge von Wrestling, Literatur und Politik.
Zunächst musste der Autor jedoch in einer Vorbemerkung darauf verweisen, dass er seine Rede bereits im April abgeben musste, als die politische Landschaft in Österreich noch eine andere war. „Einige Stellen wurden von der Wirklichkeit überholt und sind nur mehr historisch zu lesen“, schmunzelte Setz, bevor er mit seiner Rede anhob.
„Kayfabe“ - was im Wrestling-Vokabular so viel bedeutet wie die Wahrung der vierten Wand - verdeutliche mehr als alle andere Begriffe, „worum es in den nächsten vier Tagen hier gehen wird“, so der Autor in seiner humorigen Rede. Das Wort sage mehr als andere über „das Geschichtenerzählen an sich und dessen Verhältnis zum persönlichen Alltag und zur politischen Realität und sogar mehr über die Rollenbilder, in die wir, vielleicht von übergeordneten Instanzen, schon seit der Geburt gezwungen wurden.“ Dieses Verschwimmen mit der zugedachten Rolle reiche vom Mythos des sich monatelang wegsperrenden Autors über Mitglieder von Boybands, die ihre Lebenspartner vor der Öffentlichkeit verheimlichen müssen, bis hin zum Cameo-Auftritts des damaligen FPÖ-Chefs Strache in einem Wahlkampf-Video.
Nach beispielhaften Nacherzählungen zahlreicher Ereignisse aus dem Wrestling-Kosmos mit seinen geskripteten Storylines und deren Einfluss auf das Privatleben der Wrestler („Sie vergessen nach und nach ihre Taufnamen und denken und sprechen über sich nur noch mit ihrem stage name“) zeigte Setz eine Reihe von Entsprechungen in der Literatur auf, die von „Don Quijote“ über „Geschichten aus 1001 Nacht“ bis hin zum amerikanischen Dichter Robinson Jeffers („einer meiner kleineren Hausgötter“) reichten. Letzterer habe 1939 nach einer Hitler-Rede im Radio und einem Sonnenuntergang in einem Gedicht artikuliert, wie sehr er davon angewidert sei, dass der Tag allzu sehr einem seiner Gedichte gleiche.
In Richtung der Politik hatte Clemens J. Setz eine klare Botschaft: „Den Rechtsradikalen und Rechtspopulisten, die nun überall in Europa langsam ihre Faust um wichtige Institutionen zu schließen beginnen, kann man getrost die Mitteilung machen: Natürlich werdet ihr verschwinden.“ Und weiter: „Euer System ist ein geschlossenes, und wie alle geschlossenen Systeme erstickt es irgendwann an sich selbst, verirrt sich in den beschriebenen strange loops der Kayfabe und der Selbstverwechslung.“ Nachsatz: „Ihr wisst gar nicht mehr, wer euch schreibt.“
Was das alles mit den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt zu tun habe? Nun, auch hier könne man den Eindruck gewinnen, einem Kampf zwischen „Gut vs. Schlecht“ beizuwohnen, so Setz. Und um im Wrestling-Jargon zu bleiben: „Ein Royal Rumble sozusagen, bei dem die Konkurrenten nach und nach aus dem Ring geworfen werden, bis am Ende einer siegreich übrig bleibt, aber das ist ein unvollständiges, falsches Bild.“ So schlimm sei es dann aber doch nicht. In Wahrheit sei der Bewerb „ein für kurze Zeit hochtourig laufendes Fabriklein, das einen konzentrierten Datenstrom aus Fiktionen produziert, die, so wollen wir es uns wünschen, ihre vorübergehenden Trägerseelen heil lassen, die niemanden rekrutieren, abrichten oder verschicken wollen und die womöglich das in unseren Ländern vielleicht schon in naher Zukunft allmählich wiedererwachende Schamgefühl erheben und einbetten können in sinnvolle Zusammenhänge“.