Künftigen Scala-Chef Meyer freut „normale Planungszeit“
Wenige Stunden nach der Entscheidung des Scala-Aufsichtsrats, Dominique Meyer am Mailänder Opernhaus als neuen Intendanten ab Juli 2021 zu designieren, und kurz bevor ein siebenstündiges Vorsingen begann, nahm sich der Wiener Staatsoperndirektor am Samstagvormittag Zeit für ein kurzes Interview mit der APA.
APA: Herr Direktor Meyer, herzliche Gratulation! Obwohl man ja nicht weiß, ob man wirklich zu diesem Posten von ganzen Herzen gratulieren kann. Die Scala scheint ja noch schwieriger zu führen zu sein als die Staatsoper.
Dominique Meyer: Ich kenne kein großes Opernhaus, das ein Spaziergang ist. Man darf nicht vergessen: Ein Opernhaus ist ein Ort der Emotionen. Da sind Aufregungen ganz natürlich. Erinnern Sie sich an meine Bestellung an die Staatsoper: Der Kampf zwischen der Kulturministerin und dem Kanzler (Claudia Schmied und Alfred Gusenbauer, Anm.) war auch nicht ohne.
APA: In Mailand ist es bis zuletzt recht rund gegangen: Protestkundgebungen der Mitarbeiter, Cecilia Bartoli hat wegen der Nicht-Verlängerung Alexander Pereiras drei Händel-Opern abgesagt. Wie werden Sie in dieser Situation Frieden schaffen können?
Meyer: Wie immer: Ich werde hingehen, die Leute treffen, ihnen die Hand geben, und wir werden weitermachen. Ich bin nicht unglücklich, dass Alexander verlängert wurde. Das ergibt eine normale Situation. Ich hatte vor Wien drei Jahre Vorbereitungszeit, mein Nachfolger Bogdan Roscic hat dreieinhalb Jahre. In Mailand ist es vielleicht unüblich, aber es ist normal, dass man eine Planungszeit hat. Ich finde es gut.
APA: Der Bürgermeister hat Ihnen in der Entscheidung, ob Sie Intendant und Künstlerischer Leiter in Personalunion sein werden, den Ball zugespielt. Ist das keine Selbstverständlichkeit?
Meyer: Ja, aber ich kann auch einen Mitarbeiter haben. Das spielt keine Rolle, das ist eine Sache der Organisation. Man macht sich da viele Gedanken um nichts. Man leitet eine Oper nicht allein. Aber natürlich muss ich am Ende das letzte Wort haben.
APA: Wird Bartoli von Ihnen und Pereira zur Rücknahme ihres Entschlusses überredet werden können?
Meyer: Ich habe mit ihr noch nicht geredet, aber es gab sehr gute Gespräche mit Musikdirektor Riccardo Chailly. Er findet diese Lösung gut. Es gibt ein paar Sachen, die man aus der ersten Emotion heraus macht, die sich dann vielleicht wieder beruhigen.
APA: Wird Chailly Musikdirektor bleiben?
Meyer (lacht): Ich wurde gestern um 21 Uhr bestellt. Für Antworten auf solche Fragen müssen Sie noch ein bisserl warten. Ich bin kein Mensch, der in der Eile Entscheidungen trifft. Zuerst werde ich die Leute treffen und mit ihnen in Ruhe sprechen.
APA: Dann lassen Sie uns grundsätzlich reden. Was braucht die Scala? Wo werden Sie den Hebel ansetzen?
Meyer: Natürlich ist die Scala das Haus, in dem das Kernrepertoire italienisch ist. Da kann man viel tun. Man spielt jetzt gerne Händel, aber man kann auch weiter in den Süden schauen. Es gab eine Periode, in der die Hauptstadt der Musikwelt Neapel war. Es gab dort 300 Komponisten, viele davon haben zwischen 50 und 100 Opern komponiert. Das ist eine große Reserve. Daneben sind natürlich zeitgenössische Opern immer interessant. Und man muss sich anschauen, warum es viele Vorstellungen gibt, die aber nicht immer voll sind. Das möchte ich aber erst alles genau analysieren, ehe ich dazu etwas sage. Das ist meine Methode.
APA: Alexander Pereira brachte viele Sponsoren. Wie schwierig ist die finanzielle Situation der Scala?
Meyer: Natürlich ist sie sponsorenabhängig, und ich werde mich natürlich damit beschäftigen. Aber man muss anerkennen: In diesem Bereich ist Pereira Weltmeister.
APA: Nach der Sommerpause wartet noch eine komplette letzte Staatsopernsaison auf Sie. Wie gehen Sie nun in diesen Sommer - mehr mit Wehmut, Wien bald zu verlassen, oder mehr mit Freude, bald Richtung Mailand aufzubrechen?
Meyer: Das weiß ich nicht, und ich verbringe nicht die ganze Zeit, mich selber zu analysieren. Natürlich habe ich hier eine tolle Periode erlebt, und natürlich gab es manchmal Schwierigkeiten. Was übrig bleibt, ist nur Freude. Ich bin ein glücklicher Mensch. Ich weiß, dass ich in meinem Leben immer spannende Sachen zu machen hatte, nicht nur hier in Wien, auch die elf Spielzeiten, die ich im Théâtre des Champs Elysées gemacht habe, meine Arbeit an der Pariser Oper, meine kleine Periode in Lausanne. Das war nicht das größte Haus der Welt, aber vielleicht die glücklichste Periode meines Lebens. Damals habe ich wahrgenommen, dass mir diese Arbeit gefällt und ich sie gut machen kann. Auch zuvor meine Arbeit in der Regierung. Wissen Sie, ein Mensch ist wie ein Millefeuille (ein Blätterteig, Anm.). Es kommen viele Schichten aufeinander. Ich bin begeistert, weil ich jetzt eine neue Aufgabe bekomme, aber ich freue mich auch auf meine letzte Spielzeit an der Staatsoper.
(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)