Kino

„Red Joan“: Der lange Schatten des Kalten Krieges

Spionin aus Liebe und für das atomare Gleichgewicht: Fünf Jahrzehnte nachdem sie geheime Informationen weitergab, wird Joan (Judi Dench) verhaftet.
© Centfox

„Red Joan – Geheimnis eines Lebens“ rollt die wahre Geschichte einer britischen Sowjet-Spionin als psychologisch dichtes Drama auf.

Von Marian Wilhelm

Innsbruck –„Niemand wird uns verdächtigen, wir sind Frauen.“ Diesen Hinweis bekommt die junge Joan als angehende Spionin. Mehr als ein halbes Jahrhundert später stehen dann doch die britischen Behörden vor der Tür der alten Dame. Der Film „Red Joan – Geheimnis eines Lebens“ basiert auf dem gleichnamigen Bestseller von Jennie Rooney. Als Inspiration dient jedoch der reale Fall von Melitta Norwood, die 1999 als „Granny Spy“ Berühmtheit erlangte. Sie hatte den Russen Einblick in die Atombombenforschung verschafft und war damit die wichtigste Sowjet-Agentin in Großbritannien.

Im Unterschied zu ihrem Vorbild ist Joan aber keine überzeugte Kommunistin. Sie spioniert ideologisch unverfänglicher aus Liebe zum feschen russisch-deutsch-jüdischen Leo, der sie in den 30er-Jahren in Cambridge anwirbt. Außerdem kommt sie in der Folge von Hiroshima und Nagasaki zu der Überzeugung, dass nur eine gegenseitige atomare Abschreckung gewährleistet, dass der Kalte Krieg tatsächlich kalt bleibt – ein historisch nicht ganz von der Hand zu weisender Standpunkt.

Durch diese weniger melodramatischen Motive wird Joan zu einer glaubwürdigen weiblichen Figur. Die Männer um sie herum nehmen sie nämlich sowieso nicht ernst. Die studierte Physikerin soll als Tippse im geheimen Forschungsprogramm arbeiten. Nur ihr Chef Max (Stephen Campbell Moore) sieht mehr in ihr, zunächst als kompetente Wissenschafterin, aber bald doch auch wieder als Frau.

„Red Joan“ ist in seiner Haupterzählung ein recht konventionelles Spionage-Drama, in angenehme nostalgische Farben getaucht. Mit einem überzeugenden Ensemble rund um Sophie Cookson (Spionage-erfahren mit „The Kingsmen“) liegt der Fokus deutlich auf dem emotionalen Gewicht der gefährlichen Geheimniskrämerei. Das wäre in einem Männer-Film wohl anders; feministisch ist daran lediglich, dass Joans Geschichte erzählt wird.

Doch der Film hält noch eine zweite Ebene bereit. Die Rahmen-Erzählung des Jahres 2000 unterbricht die Rückblenden immer wieder. Dort verkörpert keine Geringere als Dame Judi Dench – als M in sieben James-Bond-Filmen auch kein Spionage-Nobody – messerscharf die wieder entflammten inneren Konflikte der 87-jährigen Joan. Stellt sie zunächst als tattrige alte Dame mit Che-Guevara-Teetasse alles als Missverständnis hin, legt sie der Polizei und ihrem erstaunten Sohn schon bald die Karten auf den Tisch. Auch wenn der 79-jährige Theater-Regisseur und Gelegenheitsfilmemacher Trevor Nunn kein Händchen für Thriller-Spannung hat – und der Kraft visuellen Erzählens misstraut –, macht das Wechselspiel von gestern und heute „Red Joan“ zu einer psychologisch dichten, spannenden Geschichte aus dem echten Kalten Krieg.